Am 4. Februar 2004 ging nach eigenen Angaben zufolge die Webseite von Facebook online. Das soziale Netzwerk revolutionierte die Art und Weise, wie Menschen im Internet miteinander kommunizieren und Informationen teilen.
Vor allem der “Like” Button – einfach integrierbar in jede andere Webseite – versorgte das Unternehmen mit ungezählten Informationen darüber, was seine Nutzer mögen und was nicht.
Ein genialer Schachzug, der die Konkurrenz zwang, umzudenken.
Gut sieben Jahre später, laut Unternehmenschronik im März 2011, stellte die vor dem Markteintritt Facebooks größte Internetmacht, Google, die +1 Schaltfläche als Konkurrent zum Like Button vor. Weitere drei Monate später folgte mit Google Plus der Versuch, ein eigenes soziales Netzwerk zu etablieren – mit zunächst durchwachsenem Erfolg. Auch wenn Google Plus einige Funktionen bot, die bei Facebook nicht zu finden waren, so richtig wollte es zunächst nicht gelingen, in der Suchmaschine ein soziales Netz zu sehen. Erst, als Google damit begann all seine Dienste in einem System zu vereinen, stiegen auch die Nutzerzahlen.
Vorgänge wie diese kann man im Geschäftsleben tagtäglich beobachten. Unternehmen A bringt eine Neuerung auf den Markt, etabliert diese, feiert Erfolg. Unternehmen B, vom Erfolg auf dem neuen Geschäftsfeld animiert und vielleicht vor Sorge, selbst Kunden zu verlieren, beginnt die Strategie und die Produkte von Unternehmen A zu kopieren.
Oft mit merklich weniger Erfolg.
Die Gründe, warum Unternehmen mit Kopien der Dienstleistungen anderer scheitern (oder zumindest hinter den Erwartungen zurück bleiben) sind sicherlich vielfältig. Der Entwicklungsvorsprung wird eine Rolle spielen, das Timing und auch die Position der beiden Unternehmen am Markt. Das Beispiel von Facebook und Google zeigt jedoch, dass es noch einen weiteren Faktor gibt, den man nicht außer Acht lassen sollte: Das Hirn des Konsumenten und Nutzers.
Auch wenn es uns heute etwas merkwürdig vorkommt, von Facebook als dem Nischenanbieter zu sprechen – in den Anfangstagen waren die Jungs aus den Staaten genau das. Google als Platzhirsch hatte in allen wichtigen Geschäftsfeldern das Sagen – von der Suchmaschine über Email bis hin zur Werbung. Dann entwickelten Zuckerberg und Co. einen ganz neuen Bereich, das soziale Internet, und stempelten ihren Namen darauf.
Facebook ist das soziale Netzwerk.
Egal was danach kam – es erreichte nie den Status des Branchenführers.
Dass es so schwer ist die Marktführerschaft einer etablierten Marke zu brechen, hat mit der Funktionsweise des Gehirns zu tun. Wenn wir einmal eine bestimmte Dienstleistung (hier “soziales Internet”) mit einer bestimmten Marke (hier “Facebook”) verbunden haben, dann werden alle Erfahrungen, die wir mit dieser Dienstleistung sammeln, zu einem gewissen Teil dieser Marke gutgeschrieben. Denn die Marke und die Dienstleistung sind in unserem Gehirn so eng miteinander verknüpft, dass sie – zumindest teilweise – identisch sind.
Egal, welche Marke die Leistungen tatsächlich erbringt. Egal, ob es vielleicht objektiv bessere Konkurrenten gibt. Der Branchenführer profitiert.
In einer grundlegenden Studie aus dem Jahr 2005 konnten Neurowissenschaftler um Michael Deppe aus Münster zeigen, dass die präferierte Marke ganz andere neuronale Prozesse in Gang setzt, als mögliche Alternativen. Qualitativ andere Prozesse.
Dies bedeutet, dass unsere präferierte Marke tatsächlich grundsätzlich anders wahrgenommen wird, als alle Alternativen. Sie beansprucht einen Sonderstatus, nicht nur am Markt, sondern auch im Kopf des Konsumenten.
Bionade lässt grüßen.
Deswegen spricht die ältere Generation von Tempos, wenn sie Taschentücher meint.
Deswegen spricht die jüngere Generation von YouTuben, wenn sie online Videos schaut.
Wenn nun Unternehmen B einen Dienst an den Markt bringt, der dem von Unternehmen A gleicht, hat dies mindestens drei Effekte.
Erstens: Konsumenten, die Unternehmen B ohnehin schon treu ergeben waren, werden vor dem Einfluss von Unternehmen A geschützt, da ein Wechsel im Wesentlichen keine Vorteile bietet. Dies ist der positive Effekt des Blicks auf die Konkurrenz – im Hirn von loyalen Konsumenten wird die Markenstärke gefestigt.
Zweitens: Kunden von Unternehmen A wird gezeigt, wie einflussreich Unternehmen A eigentlich geworden ist – schließlich beginnt sich die Konkurrenz bereits an ihnen zu orientieren. Dies wiederum bestärkt sie in ihrer Wahl, erhöht die Markenloyalität und verhindert eine Abwanderung von Unternehmen A zu B.
Zwischen den beiden direkt beteiligten Unternehmen werden die Fronten – auch in den Köpfen der Konsumenten – verhärtet. Ähnliches konnte man vor nicht allzu langer Zeit zwischen Microsoft und Apple beobachten.
Drittens und endlich wird unentschlossenen Kunden durch das Auftauchen neuer Konkurrenz gezeigt, dass die Dienstleistung von Unternehmen A tatsächlich einen Blick wert ist. Schließlich scheint sie sich zu verbreiten und zu etablieren und damit wird, ob gewollt oder nicht, die Position von Unternehmen A am Markt gestärkt. Wenn der Marktführer Google es nötig hat, das aufstrebende Facebook zu kopieren, dann muss etwas an diesen “sozialen Netzwerken” dran sein.
Wenn dann das Timing der Botschaft nicht perfekt ist, der Dienst des Nachahmers den des Erfinders nicht übertrifft, sendet man nicht die Botschaft: Hey, Google kann auch sozial. Man sendet die Botschaft: Ab zu Facebook!
Zugegeben, ich überspitze es etwas, um den Kern der Sache zu verdeutlichen. Deswegen noch ein weiteres Beispiel: Im November 2011 stellte Amazon einen Patentantrag für einen bestimmten Aufbau eines Fotostudios – und bekam ihn bewilligt. Die Idee dahinter: Konkurrenzunternehmen sollte es schwer gemacht werden, Produktfotos vor rein weißem Hintergrund nutzen zu können. Und die Reaktion im Netz war heftig, nutzt doch wahrscheinlich die große Mehrheit der existierenden Webshops Produktfotos vor weißem Hintergrund.
Man hatte Angst jetzt eine komplett neue Darstellungsform finden zu müssen.
Doch die Aufregung legte sich auch schnell wieder. Einerseits entpuppte sich die Angst als unbegründet. Produktfotos auf weiß können weiterhin genutzt werden, ohne das Patent zu verletzen, denn nicht die Darstellungsform, sondern der Aufbau eines Fotostudios sind wie gesagt geschützt. Viel wichtiger ist jedoch, dass viele Shops erkannten: Ein Produkt auf weißem Hintergrund ist nicht zwangsläufig die beste Variante ist, das Produkt zu präsentieren. Je nach Shop kann es viel sinnvoller sein, das Produkt in Aktion oder zumindest in einer emotional ansprechenden Umgebung zu zeigen. Beides wird vom Patent nicht berührt.
Der Blick auf die Konkurrenz vernebelt oft den Blick auf die eigenen Stärken, auf das, was unsere Marken in den Augen der Konsumenten so einzigartig macht. Wer blind den Erfolg anderer Unternehmen zu kopieren versucht, dem wird es nicht gelingen ein eigenes Profil aufzubauen und sich durch Markenstärke von seinen Wettbewerbern abzugrenzen.
Und Markenstärke ist noch immer eine entscheidende Einflussgröße.
Google ist kein soziales Netzwerk. Google ist, zumindest für die meisten, eine Suchmaschine, die das Netz nach Inhalten durchsucht, ein Emailprogramm und ein Dienstanbieter – und Google scheint mittlerweile begriffen zu haben, dass es kein soziales Netz sein muss, um zu überleben. Die “sozialen” Funktionen sind mittlerweile gut eingebunden und spielen nur noch eine Nebenrolle im Kerngeschäft des Internetgiganten. Den Fehler, andere kopieren zu wollen, scheint Google nicht mehr zu machen.
Nicht umsonst stellt Google selbst keine Enzyklopädie.
Lieber wird an erster Stelle auf Wikipedia verlinkt. Eine gegenseitig fruchtbare Zusammenarbeit, “win-win”, wie man so schön sagt. Kooperation und Integration sind effektiver als Wettbewerb und Konkurrenz.
Auch in den Augen des Konsumenten.
Veröffentlicht am 18.08.2015 von Benny Briesemeister.
Benny B. Briesemeister hat als neurokognitiver Psychologe an der FU Berlin promoviert. Seit 2011 betätigt er sich an der Schnittstelle aus neurowissenschaftlicher Forschung und Marketingpraxis. Für seine Arbeiten wurde er von der NMSBA mit dem Titel „Neurotalent of the Year 2015“ ausgezeichnet.
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