Keine erfolgreiche Content-Strategie kommt ohne gutes Seeding aus. Doch ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt, dass jeder Markt seine eigenen Regeln hat.
Auf internationalen Marketing-Konferenzen hört man immer wieder mit Staunen, wie US-Kollegen es schaffen mit relativ einfach gestalteten Content-Maßnahmen, wie simplen Infografiken, schnelle Seeding Erfolge zu verbuchen. Dabei machen sie oft nicht mehr, als eine klassische Pressemitteilung über den Mailverteiler an die medialen Ansprechpartner zu schicken. Die Inhalte werden dann von großen Multiplikatoren aufgegriffen und verbreiten sich scheinbar wie von allein.
Was in den USA so leicht funktioniert, bedarf in Deutschland hingegen einer anderen, umfassenderen Herangehensweise. Doch wo liegen die Unterschiede zwischen Seeding auf dem US-Markt und Seeding in Deutschland?
Viral-Portale und Social-News-Seiten wie Buzzfeed, Upworthy oder Mashable, die eine schnelle Content-Multiplikation an eine große Zielgruppe ermöglichen, haben in Deutschland einen deutlich schwereren Stand als in den Vereinigten Staaten. Dort gehören sie zu den wichtigsten Multiplikatoren für visuellen Content, wie das Beispiel des Online-Shops halloweencostumes.com zeigt: Dieser hat kurz vor dem Kinostart der Comicverfilmung „The Wolverine“ eine Infografik produzieren lassen, welche die optische Entwicklung des Superhelden von seinen Ursprüngen bis in die Gegenwart abbildet. Innerhalb kurzer Zeit wurde die Grafik von mehreren großen Viral-Portalen, darunter Buzzfeed, verlinkt und zum Seeding-Erfolg.
Abbildung 1: Infografik von halloweencostumes.com
So weit, so gut. Dieser schnelle Erfolg ist in Deutschland allerdings kaum vorstellbar. Das liegt vor allem an zwei Faktoren:
Die deutschen User stehen vielen Bereichen der Digitalisierung skeptisch gegenüber und sind ohnedies eine stärkere Trennung zwischen Unterhaltung und Information gewohnt. So haben die oben genannten Portale häufig den Ruf „unseriöse Viralschleudern“ zu sein, da sie vielfach virale Hits aufgreifen und Artikel publizieren, die nicht unbedingt den höchsten journalistischen Ansprüchen genügen. In diesem Zusammenhang kann schnell das Negativurteil „Clickbait“ fallen.
Die Ausrichtung auf pures Clickbaiting á la heftig.co sorgt zwar für eine hohe Anzahl von Unique Visitors, führt aber nicht zur Bildung einer Community, die für einen langfristigen Seeding Erfolg umso wichtiger ist. So verzeichnet Buzzfeed Deutschland inzwischen zwar mehr als 290.000 Facebook-Likes, verfügt aber über eine relativ geringe Interaktionsrate. Zudem ist das Linkumfeld meist unseriös und polemisch, was den Content beschädigen oder unnötig herabwerten kann. Des Weiteren besteht immer die Gefahr, dass Facebook den Algorithmus seines Newsfeeds ändert um Clickbait-Produzenten abzustrafen, wie es bei heftig.co schon geschehen ist.
Die „Wolverine“-Infografik ist zwar kein klassisches Clickbait, gehört aber klar zu den viralen Hits, die von Buzzfeed & Co. so gerne übernommen werden. Ihr nachhaltiges Informationspotential ist übersichtlich. Es handelt sich um reines Fanwissen, dass weder nötig ist, um den Film zu verstehen, noch für eine große Zielgruppe relevant ist.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Grafik über eine große Menge schlecht lesbaren Textes verfügt und dadurch unübersichtlich wirkt. Der User muss sie erst einmal vergrößern, um sie vollkommen erfassen zu können. Eine unnötige Hürde, die sich auch auf die Interaktions- und Teilbereitschaft niederschlägt.
Die Rolle von Viral-Portalen und Social-News-Seiten wird in Deutschland vielmehr von den Online-Auftritten etablierter Medienmarken wie Bild und Focus übernommen. Beide verfügen über enorme Klickzahlen und hohe Interaktionsraten, sowohl in den sozialen Netzwerken als auch in den Kommentarspalten.
Im Vergleich zu Buzzfeed und Co. bringen sie einen für den deutschen Markt entscheidenden Vorteil mit: Die Bekanntheit und das Standing einer über Jahrzehnte bekannten Medienmarke. Ein Blick auf die Medien mit der höchsten Social-Media-Strahlkraft bestätigt, dass die vorderen Plätze von Print-, respektive Fernsehmarken belegt werden. Da es sich hierbei aber um klassische Redaktionen, mit einer klaren inhaltlichen Ausrichtung und einer breiten Zielgruppe handelt, ist es schier unmöglich, dass sie überhaupt eine Infografik aufgreifen, es sei denn es handelt sich um eine grafische Darstellung statistischer Daten aus einer repräsentativen Studie.
Das generelle Misstrauen gegenüber fremden Inhalten beherrscht auch die deutsche Bloggerszene. Risikomentalität sucht man hier meist vergebens. Die Blogbetreiber lassen sich ungern von Viral-Portalen inspirieren und stehen häufig auch seriöseren Quellen kritisch gegenüber. Die Schwelle, von Dritten produzierte Inhalte zu teilen oder zu verlinken, ist dementsprechend hoch, denn das höchste Gut jedes Journalisten ist seine Glaubwürdigkeit. Und die ist schnell verspielt.
Im Vergleich zum englischsprachigen Raum sind deutsche Blogger oftmals Solitäre, die zu sehr auf sich selbst fixiert sind. Teilen sie dann einmal fremde Inhalte, geschieht dies häufig nur gegen Bezahlung, da viele von ihnen gewinnorientiert arbeiten.
Der hohe Anspruch deutscher User und Multiplikatoren an fremde Inhalte lässt sich aber auch als Vorteil nutzen: Wer die Skepsis von Journalisten, Experten und Usern beherzigt und individuell auf deren Bedürfnisse eingeht, steigert die Chancen, den eigenproduzierten Content multiplizieren zu können. Dabei sollte schon in der Content-Entwicklung auf die Anforderungen des deutschen Marktes eingegangen werden.
Ein Dreh- und Angelpunkt jeder Content-Strategie ist die Wahl des Formats. Wo in den USA Infografiken, Videos und Memes besonders gut funktionieren, gilt in Deutschland immer noch: das geschriebene Wort ist seriöser als audiovisuelle Inhalte. Vor allem wenn es sich um die Publikation eines etablierten Fachautors handelt.
Dieses ungeschriebene Gesetz lässt sich mit der Konzeption eines E-Books nutzen. Natürlich sind E-Books als Content-Marketing-Maßnahme keineswegs eine neue Erfindung, doch aufs „Wie“ kommt es an. Viele E-Books sind viel zu nah am Produkt oder inhaltlich nicht hochwertig und informativ genug. Auch wenn E-Books von Marketing-Managern angestoßen werden, handelt es sich bei ihnen immer um redaktionelle Projekte, die von Fachpersonal betreut werden müssen. Wenn gesellschaftlich relevante Themen von anerkannten Fachautoren behandelt werden, sind E-Books auch für Journalisten oder Organisationen interessant. Der Expertenstatus des Autors ist ein wichtiger Seriositätsfaktor für Multiplikatoren, der darüber entscheiden kann, ob der Content verlinkt wird.
Ein konkretes Beispiel hierfür ist eine Kampagne des Reiseanbieters Sonne und Strand, dessen Hauptgeschäftsfeld die Vermietung von Ferienhäusern ist. Statt sich auf ein regionales Thema zu konzentrieren, hat das dänische Unternehmen ein E-Book zum Thema Unterwasserfotografie produziert. Dabei konnte mit Herbert Frei ein bekannter Fachautor gewonnen werden, der sowohl über langjährige Erfahrung in der Unterwasserfotografie verfügt, als auch durch zahlreiche Publikationen Expertenstatus in der Tauchsportszene genießt.
Herausgekommen ist ein umfangreiches, informatives E-Book, das einen umfassenden Einblick ins Thema gibt und mit Tipps für Anfänger und Fortgeschrittene aufwarten kann. Zusätzlich handelt es sich bei der Unterwasserfotografie um Evergreen Content, der keinen saisonalen Schwankungen unterliegt und sowohl im Ferienhausurlaub als auch für den heimischen Pool interessant ist.
Abbildung 2: Kampagne des Reiseanbieters Sonne und Strand
Tipp: Auch andere, traditionell „seriöse Formate“ lassen sich für erfolgreiches Seeding nutzen. Je nach inhaltlichem Fokus, bietet sich beispielsweise die Ausrichtung verschiedener Events an, die von der lokalen und regionalen Presse aufgegriffen werden können. Eine öffentliche Podiumsdiskussion zu einem signifikanten Thema mit Fachreferenten und Experten ist für Journalisten und Redakteure interessant. Um Hochschulen zu erreichen, lassen sich studentische Wettbewerbe durchführen. Die Liste ließe sich sicherlich noch weiterführen. Wichtig ist vor allem die Fokussierung auf seriöse Inhalte und Fachpersonal.
Das „Wie“ spielt auch bei der Ansprache eine entscheidende Rolle. Herkömmliche Seeding-Tools wie Buzzsumo aus den USA vereinfachen vor allem den Versand von Massenmails und legen einen für Deutschland zu hohen Stellenwert auf Social Signals. Um wichtige Multiplikatoren zu erreichen, braucht es mehr als ein paar Tweets und Facebook Messages.
Abbildung 3: Das Mailing- und Social Media orientierte Interface von Buzzsumo
Besser ist es, wenn Kommunikationsspezialisten, wie erfahrene PRler oder ehemalige Journalisten, das Seeding betreiben. Auf mailingbasierte Tools sollte zugunsten von telefonbasierten CRM-Lösungen verzichtet werden, die sich zum Beispiel an Close.io orientieren.
Abbildung 4: Close.io besitzt ein Call Orientierte Interface
Diese ermöglichen eine persönliche Ansprache der relevanten Multiplikatoren, die sehr viel effektiver ist als das reine Versenden von Massenmails. Journalisten bekommen im Durchschnitt 54 Pressemeldungen am Tag. Da bleibt selten Zeit, sich mit einzelnen E-Mails genauer zu beschäftigen. Gerade in Telefongesprächen lassen sich gut Vorzüge und individuelle Aspekte des eigenen Contents darlegen, auf etwaige Nachfragen oder Skepsis eingehen und persönliche Kontakte knüpfe.
Abbildung 5: Calls funktionieren insgesamt besser als Mails
Wir haben 300 Seeding-Kampagnen ausgewertet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass 65% aller Publikationen durch telefonischen Kontakt entstanden sind. Im Gegenzug sind nur 35% aller Seeding-Erfolge durch einen reinen Mail-Austausch entstanden.
Natürlich gibt auch Multiplikatoren, die nur per Mail kontaktiert werden möchten. Dies ist erfahrungsgemäß besonders bei großen News- oder Tech-Magazinen der Fall. Doch für die Mehrheit gilt es, durch den regelmäßigen, telefonischen Kontakt das Gespräch auf eine persönliche Ebene zu heben. So kann man viel gezielter auf die Informationsbedürfnisse der Multiplikatoren eingehen und eine persönliche Beziehung aufbauen.
Das amerikanische Seeding-Modell mag verlockend einfach klingen, aber viele Erfolgsmodelle lassen sich nicht eins-zu-eins auf andere Länder übertragen. Natürlich gibt es auch Beispiele für unterhaltsame Infografiken und audiovisuelle Inhalte, die in Deutschland zum Seeding Erfolg wurden.
Meine Erfahrung aus der Auswertung von mehr als dreihundert erfolgreichen Seeding-Kampagnen hat mir allerdings gezeigt, dass es sich hierbei um Ausnahmen handelt. Wer langfristig erfolgreiches Seeding betreiben will, der sollte die Gepflogenheiten/Gegebenheiten seines Marktes genau kennen und schon bei der Content-Produktion berücksichtigen. Die vermeintlichen Hürden der deutschen Multiplikatoren – generelles Misstrauen gegenüber Inhalten von Dritten, starker Fokus auf hochseriöse Inhalte – können sich als Vorteile erweisen. Wer es einmal geschafft hat mit anspruchsvollem Content und den passenden Formaten zu überzeugen, kann sich als glaubwürdiger Partner etablieren und wird auch in der Zukunft unter Multiplikatoren als vertrauenswürdig gelten.
Veröffentlicht am 17.08.2016 von Fionn Kientzler.
Who writes here
Fionn Kientzler ist Managing Partner bei der Content Marketing Agentur Suxeedo und Dozent für Content Marketing an der Ludwig Maximilians Universität München. Suxeedo hat seit Bestehen mehr als 300 erfolgreiche Seeding-Kampagnen für Deutschlands größte Internetplattformen, darunter DAX und Fortune 500 Unternehmen, umgesetzt. Neben seiner Tätigkeit für Suxeedo und die LMU ist er außerdem Speaker zu den Themen Seeding und Content Marketing auf verschiedenen Konferenzen, wie dem Content World Forum oder der CMCX.
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