Thinking Aloud Test


Ein Thinking Aloud Test ist meist ein fester Bestandteil, wenn die User Experience verbessert werden soll. Während eines solchen Tests werden die Nutzer einer Website bzw. eines Produkts dazu angehalten, bei der Anwendung einzelner Funktionen laut zu denken. Diese meist unbewussten Äußerungen werden registriert und ausgewertet. Thinking Aloud Tests sind sehr beliebt, weil sie sich mit wenig finanziellem und logistischem Aufwand realisieren lassen. Meist werden diese Testverfahren noch im Beta-Stadium einer Software, einer Website oder eines Produkts angewandt.

Hintergrund

Zu Beginn der 1980er-Jahre beschäftigte sich die Psychologie wieder stärker mit den komplexen inneren Vorgängen, die beim Menschen ablaufen, wenn er eine bestimmte Handlung ausführt. Damit startete das Zeitalter des Kognitivismus, der sich intensiv mit dem Denken des Menschen beschäftigt. Eine primäre Frage der Forschung in diesem Gebiet war es, wie man sich Zugang zu den inneren Vorgängen im Gehirn eines Menschen verschaffen kann.

Eine der bewährten Methoden hierfür wurde schließlich mit „Thinking Aloud“ gefunden. Dabei wird davon ausgegangen, dass Menschen genaue Hinweise zu ihrem Vorgehen liefern können, wenn sie während des Handels laut darüber sprechen. So wurden Probanden u.a. beim Lösen von Puzzlen oder Rechenaufgaben dazu aufgefordert, ihre Gedanken zu äußern.

Schnell wurde diese Methode jedoch kritisiert, weil viele Forscher der Meinung waren, dass die über die Thinking-Aloud-Methode gesammelten Daten zu subjektiv seien, um daran Hypothesen verifizieren oder falsifizieren zu können. Schließlich haben sich mit Ericsson und Simons zwei Forscher dem Thema angenommen mit dem Werk „Verbal report as data“ im Jahr 1984 eine Art Grundlagenwerk geschaffen. In diesem wissenschaftlichen Beitrag definieren Sie drei Abstufungen für Verbalisierungen von Handlungen:

  • Level 1: einfache Wiedergabe, z.B. durch Zahlenreihen oder Aufzählungen
  • Level 2: Nichtsprachliches wird verbalisiert, z.B. mit Abbildungen oder Fotos
  • Level 3: Handlungen werden begründet

Die ersten beiden Stufen ordneten die Forscher schließlich dem Kurzzeitgedächtnis zu. Folglich seien sie auch relevant für Tests, während die Verbalisierung auf dem Level 3 dem Langzeitgedächtnis entstammten und somit subjektiv seien.

Ein weiterer wichtiger Schritt hin zu Thinking Aloud Testing in der Praxis war das Paper von Clayton Lewis “Using the "Thinking Aloud" method in cognitive interface design”, das er 1982 als Mitarbeiter von IBM veröffentlichte. Darin beschreibt er erstmals, wie die Thinking-Aloud-Methode für Tests genutzt wurde. In den Folgejahren erschienen schließlich viele weitere Veröffentlichungen zum gleichen Thema.

Heute werden Thinking Aloud Tests sowohl in der Industrie, in der Werbung, als auch von Produktentwicklern genutzt. Im Gegensatz zu Ericsson und Simons setzen heute die Ergebnisse der Tests auf dem Level 3 an. Denn es sind meist genau die Hinweise, die UX Designer von ihren Probanden hören wollen.

Durchführung

Ein Thinking Aloud Test benötigt im Vergleich mit anderen Methoden, wie beispielsweise dem Eye Tracking, keine umfangreichen technischen Gerätschaften. Aus diesem Grund kann ein solches Testverfahren relativ schnell eingesetzt werden.

Zunächst werden spezielle Handlungsszenarien skizziert, die von einem durchschnittlichen User beim Umgang mit einem Produkt bzw. einer Website erwartet werden. Anschließend erhalten die Testnutzer Aufgaben, die sie ausführen sollen. Währenddessen sollen Sie laut aussprechen, was sie bei der Anwendung denken, welche Fragen sie haben und was sie nicht verstehen. Alle Äußerungen werden dabei protokolliert und im Anschluss ausgewertet.

Jakob Nielsen, CEO der gleichnamigen Gruppe, reduziert den Ablauf eines Thinking Aloud Tests auf drei Schritte:

  • “Recruit representative users.
  • Give them representative tasks to perform.
  • Shut up and let the users do the talking.” [1]

Dies kann auf Deutsch wie folgt übersetzt werden:

  • Finden Sie repräsentative Nutzer
  • Geben Sie ihnen die entsprechenden durchzuführenden Aufgaben
  • Seien Sie still und überlassen Sie den Nutzern das Sprechen

Nutzen der Methode

Mit Hilfe eines Thinking Aloud Tests können Werber und Produktentwickler nahezu „live“ mitverfolgen, wie ein potentieller Kunde mit einem Produkt interagiert. Denn die Überlegungen zu jedem einzelnen Handlungsschritt, zu jeder neuen Webansicht oder Produktfunktion werden direkt mitgeliefert und können mit den erwarteten Handlungen abgeglichen werden. Auf diese Weise lassen sich Softwareprogramme, Websites oder Gebrauchsprodukte zielgenauer konzipieren, indem die Handlungen des Kunden nicht intuitiv antizipiert, sondern mit Hilfe empirischer Tests ziemlich genau vorausgesagt werden. Je größer dabei der analysierte Datensatz eines Thinking Aloud Tests ist, desto wahrscheinlicher werden die in der Praxis vom User durchgeführten Handlungen.

Vorteile

Folgende Vorteile versprechen Thinking Aloud Tests:

  • kostengünstiges Verfahren, da weder ausgewiesene Experten die Tests durchführen noch teure Gerätschaften gekauft werden müssen
  • es werden nur wenige Probanden für relevante Ergebnisse benötigt
  • die Auftraggeber erhalten spontane und authentische Reaktionen von Nutzern
  • Fehlinterpretationen können nahezu ausgeschlossen werden, da die Testnutzer keine Möglichkeit haben, Ihre Äußerungen nochmals zu revidieren
  • einfache Kombination mit anderen Testverfahren hinsichtlich User Experience
  • flexible Einsatzmöglichkeiten

Mögliche Nachteile

  • es handelt sich nie um authentische Anwendungssituationen, sondern meist um künstliche Laborbedingungen
  • es entstehen Zeitverzögerungen bei der Anwendung, da die User Ihr Denken laut äußern müssen
  • kleine Stichproben sind für die Übertragung auf große Stückzahlen häufig nicht ausreichend
  • lautes Denken kann die Handlungen der Probanden beeinflussen
  • die Untersuchung von komplexeren Handlungsschritten erfordert sehr viel Aufmerksamkeit

Einzelnachweise

  1. Thinking Aloud 1 Usability Tool nngroup.com Abgerufen am 18.06.2014

Weblinks