Seien wir ehrlich: Die meisten Kaufentscheidungen, die wir im Laufe unseres Lebens treffen, sind nicht sonderlich überlegt.
Das gilt im Supermarkt, wo ich mich nicht lange vor der Käsetheke aufhalte, sondern den gleichen Käse kaufe, den ich schon die letzten Jahre esse, und das gilt auch im gleichen Maß für den Onlinehandel. Wir wollen nicht lang über Vor- und Nachteile eines Produkts nachdenken und abwägen, welches die “richtige” Entscheidung wäre. Wir wollen das Produkt finden, das zu unseren aktuellen Bedürfnissen passt, und dann wollen wir es haben.
Am besten sofort.
Als Amazon vor ein paar Jahren seine One-Click Payment Option einführte, bediente diese genau dieses Bedürfnis nach einfacherem Einkaufen. Es muss schnell gehen, oder sich zumindest schnell anfühlen, denn auch mit One-Click Option dauert es im Normalfall noch immer bis zum nächsten Werktag, ehe die Lieferung ankommt. Die Zeitspanne zwischen dem Entschluss, ein Produkt zu kaufen und der erstmaligen Nutzung des Produkts ändert sich durch die One-Click Funktion nicht im Geringsten. Trotzdem war die One-Click Option ein riesiger Erfolg für den Konzern. Warum?
Auch wenn wir die meisten Kaufentscheidungen treffen, ohne groß zu überlegen, geht ihnen irgendwann einmal ein neurokognitiver Prozess voran, der darüber entscheidet, wie wir uns verhalten. Die Frage: “Kaufen oder stehen lassen” wird in Hirnarealen entschieden, die seit über zehntausend Jahren unser Überleben sichern. Mit Hilfe der modernen Neurowissenschaft können wir nachweisen, dass bei Kaufentscheidungen vor allem die Bereiche des Gehirns eine wichtige Rolle spielen, die mit dem Botenstoff Dopamin arbeiten. Man nennt sie deshalb auch dopaminerge Areale oder in ihrer Gesamtheit das dopaminerge System. Das dopaminerge System liegt hauptsächlich in den tiefen vorderen Teilen unseres Gehirns. Aktivitätsveränderungen dieses Systems können nachweislich vorhersagen, ob es zu einem Kauf kommt, oder nicht.
Die große Frage ist: Wie kann man dieses System stimulieren? Studien zeigen, dass das dopaminerge System umso stärker aktiv wird, je mehr ein Produkt dazu geeignet zu sein scheint unsere aktuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Aussicht auf einen Zugewinn an Einfluss, an Sicherheit oder an neuen Erfahrungen steigert unsere Bereitschaft Geld in die Hand zu nehen, um das entsprechende Produkt zu besitzen.
Das ventrale Striatum, das ein zentraler Bestandteil des dopaminergen Systems ist, spricht jedoch nicht auf das Erleben des Zugewinns oder auf objektive Werte an. Es geht einzig und allein darum, was sich der Kunde vom Kauf erhofft. Ein hoher Preis kann beispielsweise hohe Ausgaben erwarten lassen. Richtig präsentiert ist er aber auch ein Versprechen an besonders hohe Qualität. Dies stellt einen Wert dar – einen subjektiven Wert, der verkaufsförderlich ist.
Marketing ist letztendlich die Kunst, die vorhandenen Werte eines Produkts, einer Marke oder einer Dienstleistung so zu kommunizieren, dass der Kunde sie verstehen kann. Neuromarketing ist die Wissenschaft, die dabei hilft zu erklären, was subjektive Werte sind und die es ermöglicht diese objektiv zu messen.
Wäre es nur die subjektive Erwartung einer Belohnung, die unsere Kaufentscheidungen bestimmt, würden Unternehmen wie Porsche oder Ferrari wahrscheinlich Freudensprünge machen. Erschaffe das perfekte Produkt, dann kannst Du abkassieren? Wir alle wissen, dass es nicht ganz so leicht ist.
Kaufentscheidungen sind komplex.
Neben dem erwarteten Gewinn durch einen Kauf berücksichtigt das Gehirn natürlich auch den mit einem Kauf verbundenen subjektiven Verlust – und genau dies ist der Punkt, an dem der Onlinehandel den stationären Einzelhandel abgehängt hat. Obwohl Unternehmen wie das Bauhaus Bestpreisgarantien aussprechen und so versuchen dem Preiskampf mit dem Onlinehandel zu entfliehen, wächst das Onlinegeschäft auf Kosten traditioneller Läden. Und Dank der Neurowissenschaft können wir auch erklären, warum.
Wir wissen, dass neben dem Belohnungserwartungssystem noch eine ganze Reihe weiterer Hirnregionen an Kaufentscheidungsprozessen beteiligt sind. Hier ist unter anderem die Insula zu nennen, eine Region die mit negativen Emotionen, Schmerzen, Ekel und noch einer ganzen Reihe weiterer Prozesse assoziiert wird. Sie wird zum Beispiel dann aktiv, wenn unverhältnismäßig hohe Preise gefordert werden. Auch der vordere zinguläre Kortex spielt eine Rolle. Letzterer wird vor allem dann aktiv, wenn laufende Prozesse durch Störungen unterbrochen werden – beispielsweise weil wir in den Laden gehen und erst einmal aufwendig suchen müssen, wo denn nun das verflixte Paar Schuhe steht, das wir haben möchten. Diese Suche kostet Zeit, Energie und Nerven.
Bei Zalando gebe ich einfach den Namen der Schuhmarke ein, wähle meine Schuhgröße aus und klicke auf bestellen. Fertig. Das vereinfacht den Einkauf und nimmt dem Gehirn ressourcenintensive (Denk-)Arbeit ab.
Es ist ein Irrtum, dass die größere Produktvielfalt, die ich über das Internet beziehen kann, verkaufsförderlich ist. Es ist die größere Kontrolle und die einfachere Suche, die bei gleichem erwarteten Wert eines Produkts dazu führen, dass der Kunde Waren bevorzugt über das Netz bestellt. Subjektiver Wert und subjektiver Aufwand/Verlust sind die zwei wichtigsten Faktoren, die darüber entscheiden, ob ein Produkt gekauft wird oder nicht.
Dank technischer Errungenschaften wie beispielsweise der One-Click Funktion von Amazon wird ein Produkt nicht wertiger, nicht schneller verfügbar oder gar preiswerter. Aber der subjektive Verlust in Form von Zeit- und Energieaufwand wird verringert.
Genau darin liegt die Stärke des Onlinehandels.
Jeder Betreiber eines Onlinegeschäfts muss sich fragen, was er seinen Kunden an Werten verspricht und was diese Kunden tun müssen, um diese Werte in Besitz zu nehmen. Was den Bereich der subjektiv wahrgenommenen Kosten betrifft, hat der Onlinehandel traditionelle Geschäftsmodelle längst abgehängt, und es nicht zu erwarten, dass sich dies ändern wird.
Die große Herausforderung besteht darin, dass objektiv identische Produkte im Laden noch immer höherwertig wahrgenommen werden, als im Onlinehandel und dass dies bei bestimmten Kaufentscheidungen, zum Beispiel bei Luxusprodukten, ein wichtiger Faktor ist.
Niemand würde ein Auto kaufen, ohne es nicht Probe gefahren zu sein. Eine Produktseite von Porsche kann noch so gut sein, letztlich besteht sie nur aus Bildern, eventuell ein paar Sounds und Text.
Wenn der Onlinehandel es schaffen sollte, das Konsumerlebnis multisensorisch zu gestalten, um den Konsumenten so den emotionalen Wert des Produkt zu vermitteln, werden die Rücksendungen abnehmen. Der Kunde muss spüren, wie der Motor eines Porsches dröhnt, er muss fühlen, wie sich die neuen Turnschuhe um den Fuß schmiegen. Marketing ist die Kunst Emotionen zu wecken. Nur wenn der Onlinehandel in diesem Bereich den nächsten Schritt tut, kann sein Siegeszug fortbestehen.
Solange sich der Onlinehandel jedoch nur mit der Verlustseite der Entscheidung beschäftigt, indem er Einkäufe weniger aufwendig, preiswerter und schneller macht, müssen Online und Offline Wege finden, ihre spezifischen Stärken zu kombinieren.
Die Kundensicht auf Kaufentscheidungen ist vielseitig. Das Angebot sollte dem Rechnung tragen.
Veröffentlicht am Jun 3, 2015 von Benny Briesemeister