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Kaufmotive und was sie für die Zielgruppenbestimmung bedeuten

Als ich vor ein paar Wochen über die neuronalen Grundlagen von Kaufentscheidungen geschrieben habe, kommentierte der Nutzer Supersieben: “Ganz ehrlich: Wo im Gehirn das (Kaufentscheidungen) stattfindet oder vielleicht im Bauch, im Ohrläppchen oder Blinddarm ist sicher nett zu wissen. Aber eigentlich egal.”

Eine klare Position und in gewisser Weise hat er (oder sie?) auch Recht: Ob nun Nucleus Accumbens (was für ein sperriger Begriff...) oder Blinddarm (klingt allerdings auch nicht viel besser...) macht für den Laien keinen Unterschied.

Für den Fachmann ist es aber wie die Gleichsetzung von Mars und Venus.

Zunächst einmal können wir aufbauend auf diesem Wissen schauen, wie der besagte Nucleus Accumbens als wichtige Schaltzentrale im Kaufentscheidungsprozess funktioniert und auf welche Informationen er anspricht (bzw. welche ihn “kalt” lassen). Allein dies verrät uns schon eine ganze Menge darüber, warum Menschen kaufen, was sie kaufen, und wie sie im Marketing angesprochen werden müssen.

Zum Beispiel wissen wir, dass die Aktivität im Nucleus Accumbens stetig zunimmt, wenn Versuchstiere (meist Ratten) eine Futtergabe erwarten – und dann schlagartig abnimmt, wenn das Futter tatsächlich verabreicht wurde.
Der primäre Kauftreiber scheint also nicht das gute Gefühl zu sein, ein Produkt oder eine Marke zu besitzen. Es ist die Aussicht darauf, die eigene Lebenssituation zu verbessern.

Anders ausgedrückt: Das Produkt an sich ist eigentlich egal. Wir kaufen nicht das Produkt, sondern das, was wir mit dem Produkt erreichen wollen, die Belohnung, die wir im Zusammenhang mit dem Besitz des Produktes erwarten.
Der Einkauf wird damit ein Mittel zum Zweck.

Kaufmotive: Wie man die Aktivität im “Belohnungserwartungszentrum” erhöht

Konkret bedeutet das: Uns interessiert nicht so sehr der Hammer. Uns interessiert das Gefühl einen Tisch mit eigenen Händen gezimmert zu haben. Uns interessiert nicht das Steak, wir kaufen das Gefühl mit unseren Kumpels einen Abend am Grill verbracht zu haben.
Wie kann man also dafür sorgen, dass die Aktivität im Nucleus Accumbens ansteigt? Indem man nicht (nur) das Produkt zeigt, sondern das, wofür es steht. Die Belohnung dahinter.

Und diese Erkenntnis bringt uns unweigerlich zur nächsten Frage: Welche Formen der Belohnung sprechen den Nucleus Accumbens an und bereiten somit Kaufentscheidungen vor? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wissen wir von mindestens fünf Motiven, die dazu in der Lage sind, Menschen zum Kauf zu motivieren.

1. Nahrungsmittel

Wie schon im Beispiel mit den Ratten deutlich wird, sind Nahrungsmittel eine gute Möglichkeit, den Nucleus Accumbens anzusprechen, vor allem dann, wenn wir lange nichts mehr gegessen haben. Von diesem Motivator wird mittlerweile exzessiv im stationären Einzelhandel Gebrauch gemacht – überall schießen Backshops wie Pilze aus dem Boden und verströmen ihren betörenden Duft nach frischer Backware. Eine Entsprechung im Onlinehandel ist nicht bekannt. Allerdings wäre es interessant zu sehen, ob peripher eingeblendete Aufnahmen von dampfendem Kaffee oder von Gemüse, das vom Morgentau noch leicht feucht ist, verkaufsförderlich sind.

2. Sex

Gut, es ist nichts neues: Sex sells. Die Aussicht auf Fortpflanzung ist einer der stärksten Motivatoren, die wir haben, und sorgt dafür, dass es attraktive Menschen im Leben leichter haben als der optische Durchschnittsbürger. Attraktive Menschen tragen dazu bei, Produkte zu verkaufen – das gilt für beide Geschlechter gleichermaßen, auch wenn der Zyklus der Frau die Sache noch ein wenig verkompliziert.
In diesem Zusammenhang lässt sich übrigens auch leicht erklären, warum die Erotikindustrie gern von der Sexindustrie unterschieden wird. Erstere verkauft (unter anderem) die Aussicht, bzw. das Versprechen auf Sex. Letztere geht einen Schritt weiter.
Ihr könnt ja gern mal spekulieren, welcher der beiden der bessere Verkaufsmotivator ist und welcher im Alltag besser funktioniert.

3. Neugier oder die Lust auf neue Erfahrungen

Jetzt wird es etwas interessanter. Das Netz ist voll von Geschäftsideen, die das uns innewohnende Motiv zur Suche nach neuen Erfahrungen ausnutzen. Computerspiele zum Beispiel. Streaming Dienste. Tech-Shops, die immer neue, immer weiter entwickelte Apps oder Gadgets vertreiben.
Der Meister des Verkaufs neuer Erfahrungen ist allerdings wahrscheinlich das Unternehmen Jochen Schweizer, das zumeist statische Bilder von Menschen in außergewöhnlichen Situationen dazu verwendet, dem Betrachter Appetit auf den ultimativen Adrenalinkick zu machen. Es verspricht eine ungewöhnliche, im wahrsten Sinne des Wortes einmalige Erfahrung. Der ultimative Kauftreiber.

Unsere Neugier wird von nahezu allem Neuen und Unbekannten stimuliert, von Reisen in exotische Länder genauso wie von ungewöhnlichen Gerichten oder ausgefallenen Produkten. Früher, zu Zeiten des Offlinehandels, wurde oft das Wörtchen “neu” verwendet, um anzuzeigen, dass es etwas zu entdecken gibt. Heute sind es eher die interaktiven Inhalte, die neue Erfahrungen versprechen – vom selbst zusammen gestellten Müsli bis hin zu Oculus Rift.

Bestes Beispiel: Chat-Roulette. Alle paar Sekunden eine neue Erfahrung. Was will man mehr?

Die Schwierigkeit besteht darin, dass ein zu hoher Neuheitswert auch abschreckend wirken kann. Der Mensch fürchtet, was er nicht versteht, und meidet, was ihm Angst macht. Viele Innovationen sind wieder in der Schublade verschwunden, weil die Zeit noch nicht reif war dafür.
Es kommt auf das rechte Maß an.

4. Vertrautheit

“Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht”, so lautet ein altes Sprichwort, das uns daran erinnern soll Werte nicht nur im Neuen, sondern auch im Bewährten zu suchen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier: Was er einmal gekauft hat, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein zweites mal kaufen, und wenn er es hundert mal gekauft hat, wird die Kaufhandlung ritualisiert – Wettbewerber haben dann kaum noch eine Chance.
Unternehmen wie Nivea, viele Handwerksbetriebe, aber auch zahlreiche Lebensmittelhersteller setzen auf den Faktor Vertrautheit. Sie bewerben sich als “Traditionsunternehmen”, erinnern an unsere frühkindlichen Erfahrungen mit dem Produkt (Beispiel: Werthers Original) oder bleiben einfach über Jahrzehnte bei der gleichen Werbestrategie (Stichwort: Marlboro Country).

Das Problem: Zu viel Vertrautheit führt zu Langeweile und Überdruss, was den Konsumenten geradezu in die Arme der Konkurrenz treibt. Außerdem lässt sich Vertrautheit nur schwerlich mal eben so erzeugen. Die meisten Internetbasierten Unternehmen setzen daher eher auf andere Motive – vielleicht mit Ausnahme von Yahoo.

5. Das Autonomiemotiv: Kontrolle und Selbstwirksamkeitserfahrung im Unterschied zu Faulheit und Verantwortungsabgabe

Angebotsoptionen, die uns das Gefühl geben selbst Kontrolle ausüben zu können, sind besonders für solche Produkte attraktiv, bei denen wir der Meinung sind, selbst die Experten zu sein. Beispielsweise wenn es um Lifestyle, Nahrungsmittel und Einrichtung geht. Oder Kleidung.

Kleidung ist übrigens ein gutes Stichwort, um aufzuzeigen, wie breit gefächert ein Kaufmotiv sein kann. Während bis vor ein paar Jahren immer mehr Onlineshops damit aufwarteten, dass der Kunde seine Bestellung individualisieren kann – ein Trend, der beispielsweise dafür sorgt, dass sich grundsätzlich kostenfreie Computerspiele für die Betreiber doch rechnen, Stichwort Customization – ist zuletzt vermehrt auch der Gegentrend bemerkbar geworden.

Unter dem Stichwort “curated shopping” muss der Kunde nicht mehr selbst die Entscheidung treffen, welche Kleidungsstücke im Warenkorb landen, wenn seine Stilsicherheit und sein modisches Know-how eher durchschnittlich ausgeprägt sind. Er entscheidet sich lediglich für eine Stilrichtung und ein Fashion-Experte trifft dann die Auswahl für den Kunden.

Vor ein paar Jahren wäre das als Geschäftsmodell noch undenkbar gewesen. Stellt Euch vor Ihr würdet zu C&A gehen und als erstes käme ein Mitarbeiter an und sagt: “Lassen Sie mich mal schauen – ah, ja. Ich habe da genau das Richtige für Sie.”
Zalando hat dieses Geschäftsmodell erst kürzlich salonfähig gemacht, bekannt wurde es in Deutschland aber durch kleine Startups wie beispielsweise Outfittery.de. Es zeigt eindrucksvoll: Jedes Motiv hat zwei Seiten. Jede der beiden Seiten möchte von Zeit zu Zeit Berücksichtigung finden.

Von Motiven zu Zielgruppen: Die Schwierigkeit der Dynamik

Wie gesagt, die Liste der oben genannten fünf Motive erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie zeigt aber eines ganz deutlich: Zielgruppen sollten nicht starr definiert werden. Jeder Mensch hat mal das Bedürfnis, etwas Neues zu erleben oder Selbstwirksamkeit zu erfahren, genauso wie jeder Mensch manchmal einfach Altbewährtem vertraut oder die Entscheidung über etwas Anderen überlassen will. Sicher, Menschen unterscheiden sich in ihrer individuellen Ausprägung dieser Motive.
Grundsätzlich sind diese Motive aber bei jedem von uns vorhanden.

Fürs Marketing bedeutet dies, dass wir uns weniger Gedanken darüber machen sollten, wie alt unsere Kunden sind oder welches Geschlecht sie haben. Es bedeutet vielmehr, dass wir herausfinden sollten, warum sie das kaufen, was sie bei uns kaufen – welches Motiv sie damit befriedigen und wie wir kommunizieren können, dass unsere Produkte geeignet sind dieses Motiv anzusprechen.
Ein Eis, beispielsweise, wird in den seltensten Fällen als Nahrungsmittel benutzt. Im Kino esse ich beispielsweise gern Eiskonfekt, weil ich das als Kind immer getan habe. Es ist ein Ritual, eine Art Tradition. Zu Hause probiere ich gern neue Eissorten aus, verlasse mich nicht immer auf das Gleiche. Und wer einmal die frühen Magnum Werbespots gesehen hat, weiß, dass Eis durchaus auch etwas mit Sex zu tun haben kann.

Es kommt nicht so sehr darauf an, welche Produkte unsere Kunden kaufen. Es kommt darauf an, warum sie diese kaufen, was sie mit diesen erreichen wollen.
Gutes Marketing zielt auf diesen Mehrwert. Spricht ihn an. Und kreiert ihn.

Zielgruppenbestimmung im Marketing

Für die Zielgruppenbestimmung im Marketing bedeutet das, dass wir mehr als nur eine Möglichkeit haben, unser Unternehmen im gleichen Produktsektor zu platzieren, wenn wir geschickt mit den Motiven spielen.
Ein offensichtliches Beispiel: Sexshops im Internet feiern große Erfolge, weil ich als Kunde nicht mehr das Haus verlassen muss. Niemand sieht mich, wenn ich frivole Dinge bestelle, die Lieferung erfolgt im neutralen Karton. Kein Nachbar kann mich zufällig dabei beobachten, wie ich den Shop betrete.

Warum aber kaufe ich im Sexshop? Die offensichtlichste Antwort wäre jetzt, weil ich sexuelle Befriedigung erreichen will, was ja auch eines der fünf besprochenen Motive ist. Soweit, so richtig.

Wie kommuniziere ich das? Ganz sicher nicht, indem ich sexuelle Befriedigung in der Werbung verspreche, sondern indem ich die sexuelle Lust des Betrachters stimuliere. Bösartig ausgedrückt nehme ich dem Kunden das, was er von mir kaufen möchte, zuvor weg, bzw. zeige ihm durch Bildmaterial und Storytelling, dass sein aktueller Stand der sexuellen Befriedigung eben nicht befriedigend ist.

Es geht aber auch intelligenter.
Sexshops verkaufen nämlich nicht nur sexuelle Befriedigung. Sie verkaufen Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Ein Vibrator oder eine Gummipuppe sind nicht nur zur Objekte zur Befriedigung, sie sind Werkzeuge, die uns von Partnern unabhängig machen. Sexspielzeuge sind Stimulatoren im wahrsten Sinne des Wortes, sie ermöglichen uns neue Erfahrungen und Massageöl dient nicht nur zum Vorspiel, es ist auch bindungsstiftend.

Schau Dir an, wer bei Dir einkauft. Sind es Paare, die ihr lange eingeschlafenes Sexleben wiederbeleben wollen, frisch Verliebte, die ihr Zusammensein zelebrieren, oder Einzelgänger, die eigentlich nur Anschluss suchen?
Beate Uhse verkaufte die sexuelle Befreiung. Amorelie verkauft Spaß. Wer verkauft Zweisamkeit und Bindung?

Schau Dir an, wer Deine Kunden sind. Schau Dir an, wie sich die Wettbewerber positionieren und dann überlege: Wo passe ich dazwischen? Es kann manchmal so einfach sein wie die Kombination aus Sex und Nahrungsmitteln (sinnliches Dinner? Pärchenkochen? Aphrodisiaka?).
Man muss es nur richtig kommunizieren.

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Veröffentlicht am Sep 22, 2015 von Benny Briesemeister