Der zweite Teil des Experten Spezials behandelt ausführlich das Thema Conversion Optimierung für Online-Shops. Der langjährige Experte André Morys teilt seine Erfahrungen und gibt einmalige Tipps mit auf den langen Optimierungsweg.
Manche Dinge sind ganz einfach. Sie können z.B. ein Schaufenster ansehen und sofort wissen, ob es sich lohnt, in den Laden hinein zu gehen. Sie fühlen, ob es dort das Passende geben wird und ob die Leute dort nett sein werden. Sie wissen das alles, ohne jemals dort gewesen zu sein. Sie haben dieses Gefühl einfach, wenn Sie vor dem Laden stehen. Sie wissen nicht warum - es ist einfach da. Ganz normal, oder? Das verrückte ist: Das passiert nicht nur bei Geschäften. Es passiert immer. Es passiert auch, wenn Sie auf eine Website treffen. Sie spüren sofort, ob der Online-Shop eine abgehalfterte Hinterhofbude oder ein seriöser und erfahrener Anbieter ist. Sie schätzen sofort ab, wie groß das Sortiment ist, wie schnell die Ware bei Ihnen sein wird und ob es sich lohnt, "in den Online-Shop hinein zu gehen".
Alle Menschen tun dies - auch die Besucher Ihres Online-Shops. Sozialpsychologen der Carlton University in Kanada haben herausgefunden, dass Besucher einer Website gerade einmal 50 Millisekunden brauchen, (also eine zwanzigstel Sekunde - jeder, der fotografiert weiß, wie kurz das ist) um all diese Einschätzungen zu treffen. Für diese Einschätzungen braucht das menschliche Gehirn nämlich kaum Rechenkapazität. Das wäre viel zu aufwändig, das Gehirn ist nicht besonders schnell im Rechnen. Für diese Einschätzungen besitzt das Gehirn sogenannte Heuristiken, also Daumenregeln. Es schätzt anhand weniger Eindrücke ab, was kommen wird. Das Gehirn versucht dadurch permanent unnötigen Aufwand zu vermeiden.
Jetzt sind wir schon mitten im Thema Conversion Optimierung. Denn die Optimierungsarbeit fängt auf den SERPs an. Die Informationen dort sind einfach viel zu viele, um wirklich rational bewertet zu werden. Das Gehirn fällt eine schnelle, gefühlsmäßige Entscheidung. Dabei spielen Positionen, bekannte Marken - aber natürlich auch Inhalte und Zusatzinformationen eine Rolle. Hier ein Beispiel:
In einer Studie gemeinsam mit der Fachhochschule Hof haben wir bei Web Arts das im vergangenen Jahr genauer erforscht. Wir haben die Auswirkungen unterschiedlicher Inhalte in SEA Anzeigentexten auf die Onsite-Conversionrate gemessen und festgestellt, dass eine höhere Übereinstimmung zwischen Nutzererwartungen (geprägt durch seine Persönlichkeit), dem gezeigten Inhalt im AdWords-Text und dem Inhalt der Landingpage die Konversionsrate nahezu verdoppelt. Was heißt das konkret? In diesem Beispiel zieht "einfach, schnell & kostenlos". Würde es um Autos gehen, würde eine eher mit dominanten Worten getextete AdWords-Anzeige auch überdurchschnittlich viele dominante Persönlichkeitstypen ansprechen. Eine auf Sicherheit fokussierte Anzeige würde eher vorsichtige, sicherheitsorientierte Persönlichkeitstypen ansprechen. Alleine auf den richtigen Anzeigentext gehen rund 50% des gemessenen Uplifts zurück.
Kennen Sie Ihre Besucher. Entwickeln Sie Personas (archetypische Nutzer) und analysieren Sie deren Erwartungen.
Schreiben Sie die relevanten Nutzererwartungen auf, fragen Sie sich, was Ihr Nutzer wirklich erreichen möchte.
Drucken Sie Screenshots aller Ihrer Seiten.
Analysieren Sie Ihre Seite auf Basis der Nutzererwartungen. Alles, was übereinstimmt wird grün angemalt, alles was nicht passt rot. Irrelevante Elemente werden gelb.
So entsteht eine Relevanz-Heatmap. Wie viele grüne Bereiche gibt es?
Entwickeln Sie Varianten, die relevanter sind und testen Sie sie über A/B-Tests. Testen Sie konsistente Seitenabläufe (Flow-Tests).
Lernen Sie daraus und bringen Sie Ihre Erfahrungen in die nächste Optimierungsrunde mit ein.
Die eben beschriebenen Aspekte sind die erste Ebene eines so genannten Conversion Frameworks. Bei dieser ersten Ebene geht es ausschließlich um Relevanz. Das Framework definiert die Rahmenbedingungen, unter denen ein Besucher im Idealfall zum Kunden wird. Relevanz ist dabei der erste von insgesamt sieben Faktoren, die in der richtigen Reihenfolge vom Besucher eines Online-Shops bewertet werden. Das Framework ist für Conversion Optimierer und Shopbetreiber ein Hilfsmittel, um die eigene Seite objektiv zu beurteilen und die richtigen Optimierungshypothesen ableiten zu können.
Keine Relevanz heißt: Bounce. Kein Kauf. Online-Marketing-Budget verbrannt. Ist die Seite jedoch relevant, geht es weiter zur nächsten Ebene. Wir alle kennen die nächste Frage, die wir uns als Besucher einer Website ebenso stellen wie Millionen anderer Nutzer: Kann ich dem Anbieter überhaupt vertrauen? Auch auf den Aspekt "Vertrauen" lässt sich jede Seite systematisch analysieren. Welche Elemente bauen überhaupt Vertrauen auf? Welche wirken eher dubios? Ein Vertrauensgefühl basiert ebenso auf Heuristiken und bildet sich nach circa einer halben Sekunde nach dem ersten Aufruf einer Seite. Auch ein fehlendes Gefühl von Vertrauenswürdigkeit wirkt sich unmittelbar auf die Bouncerate aus.
Während Vertrauen in Online-Shops durch eine gute Gestaltung, Gütesiegel und Social Proof (wie im Beispiel des Persönlichkeitstests in Form der 10 Millionen Nutzer auf der Startseite) aufgebaut werden kann, wird es bei der Frage "Warum sollte ich jetzt und hier kaufen?" schon vielschichtiger und komplexer. Eine typische Produkt- oder Kategorieseite eines Online-Shops folgt meist einem bekannten Template, wie z.B. bei Zappos. Doch wie viel Platz nutzt ein Shop, um seine Vorzüge und Alleinstellungsmerkmale zu kommunizieren? Zappos nutzt dazu insgesamt alleine acht prominente Stellen im sichtbaren Bereich - im Footer kommen noch einige weitere dazu:
Analysieren Sie jeden Seitentyp mit Hilfe der Fragen des 7E-Conversion-Frameworks: Welche Elemente sorgen für Relevanz? Was erzeugt Vertrauen? usw.
Vergleichen Sie die Seiten mit den passenden Seiten der wichtigsten Wettbewerber: An welchen Stellen haben die Wettbewerber Best-Practices?
Notieren Sie alle identifizierten Stellschrauben in Form möglichst konkreter Optimierungshypothesen in einer Excel-Liste.
Im Zusammenhang wird Ihnen klar werden, was gute Hypothesen und was weniger gute Hypothesen sind. Bewerten Sie alle Testideen in Bezug auf Aufwand und erwartetem Nutzen.
Dieses Backlog sorgt dafür, dass Sie stets nur die besten Ideen testen und sich nicht verzetteln. Das macht im Durchschnitt viel mehr Uplift als einfach ins Blaue zu testen.
Das Ding ist doch folgendes: Wenn Sie über Value Propositions im Header des Shops nachdenken, könnten Sie wochenlang über den einen richtigen, perfekten Header nachdenken. Sie könnten Kunden befragen, Best-Practices analysieren bis der Arzt kommt, Conjoint-Analysen machen, und und und. Müssen Sie aber nicht. Heute muss niemand mehr etwas "perfektes" im stillen Kämmerlein kreieren, damit bloß kein Fehler passiert. Es gibt wahrscheinlich mehrere Wege, die sinnvoll sein könnten. Sie könnten in dem Header die Services betonen und sich als besonders kundenfreundliches Unternehmen darstellen. Oder Sie könnten auf schnelle Lieferzeiten und günstige Preise gehen. Vielleicht macht auch eine Kombination Sinn?
Anstatt den perfekten Header zu kreieren (solche Aufgaben sind meist teure Grabstätten ambitionierter Projekte) können Sie einfach die unterschiedlichen Ideen recht schnell in einem A/B-Test validieren. Denn bislang waren die Optimierungsideen ganz bewusst "nur" Hypothesen - denn ihre Wirksamkeit ist schließlich nicht bewiesen. A/B-Test beenden unnötige Diskussionen, verkürzen oder verhindern gar kostspielige Projekte und lassen Entscheidungen auf validen Daten beruhen. Damit sind A/B-Test viel mehr als "Buttonschubsereien". Testing ist eine Grundlage für agiles Marketing, bei dem die Grundidee in einer höheren Innovationskraft für Unternehmen liegt als dies mit den starren, herkömmlichen Denkweisen möglich wäre.
Ja, denn jedes Unternehmen befindet sich schließlich in einem Wettstreit bei dem es darum geht, besser zu verkaufen und schneller zu wachsen. Und so ist auch jeder einzelne A/B-Test ein bedeutsames Element einer Wachstumsstrategie. Was passiert, wenn ein Online-Shop pro Jahr 10 A/B-Tests macht, die durchschnittlich einen Uplift von 5% bringen? Was passiert, wenn der Wettbewerber 20 A/B-Tests schafft? Und was, wenn er einen durchschnittlichen Uplift von 15% erreicht?
Noch etwas ist extrem wichtig. Neulich sah ich einen Tweet (wirklich, kein Witz!) "Super. Variante B hat gewonnen - 200% Uplift!". Ich klickte auf den Link und gelangte auf einen Screenshot aus einem Testingtool. Das Resultat: 1 versus 3 Conversions. Wenn das mal kein Zufall war. In diesem Fall liegt es auf der Hand, dass dieser Unterschied reiner Zufall gewesen sein wird. Wer Tests länger laufen lässt, kenn die Ausschläge nach oben und unten, bis sich ein klarer Gewinner herauskristallisiert. Viel zu oft werden jedoch immer noch Zahlen präsentiert, bei denen das (meist ungenaue) Testingtool nur ein geringes Konfidenzlevel der Zahlen ausweist. Ein Konfidenzlevel von über 80% klingt toll - heißt aber, dass das Resultat zu 20% Zufall sein könnte. Wichtige Entscheidungen sollten immer auf 95% oder mehr Konfidenzlevel beruhen.
Testen Sie keine Dinge, weil das Tool es kann. Testen Sie stets nur die besten Hypothesen aus Ihrem Backlog.
Messen Sie den durchschnittlichen Uplift Ihrer Tests – ein weiterer gut aussehender KPI in Ihrem Unternehmens-Dashboard.
Verschenken Sie keinen Traffic – nutzen Sie alle Testslots, die Sie haben. Ihr Wettbewerber tut es auch.
Fragen Sie sich bei jedem Test: Haben diese Variationen genug Kontrast, um das Verhalten der Nutzer signifikant zu verändern?
Erkennen Sie, dass erfolgreiche A/B-Tests Ihr Wachstum maßgeblich beeinflussen und investieren Sie in effiziente Prozesse.
Der Zufall ist der Feind des Conversion Superhero: Gönnen Sie Ihren Tests genügend Laufzeit und eine ansehnliche Stichprobe, um valide Erkenntnisse zu haben.
Seien Sie ehrlich zu sich selbst und schalten Sie Tests niemals ab, nur weil sie erstmals signifikante Resultate haben. Das kann sich noch ändern – nur was stabil gut ist, ist auch wirklich gut.
Arbeiten Sie sauber und methodisch, und Sie werden mit großen Uplifts belohnt werden!
Im nächsten Teil des Experten-Spezials geht es nahtlos weiter mit der Online-Shopoptimierung. Hier führt Michael Jonas, Head of Client Services in Deutschland, Österreich und Schweiz, von der Maxymiser GmbH das Thema Conversion Optimierung fort. Also gibt es auch im nächsten Beitrag spannende Insights rund um das Thema A/B- und Multivariates Testing, mit speziellen Tipps für Shop-Betreiber. Bleiben Sie also dabei!
Veröffentlicht am Jan 30, 2014 von André Morys