Marcus Tandler, Gründer und Geschäftsführer von Ryte, war zu Gast bei Yandex in Moskau um dort Head of Web Search Alexander Sadovsky zu interviewen. In einem interessanten und aufschlussreichen Interview verrät Alexander warum die russische Suchmaschine nun bei bestimmten Suchanfragen nicht mehr auf Links als Rankingfaktor setzt.
Russlands beliebteste Suchmaschine Yandex hat Ende letzten Jahres die Search- und SEO-Gemeinde mit der Ankündigung überrascht, von nun an bei kommerziellen Suchanfragen in der Region Moskau, Backlinks nicht mehr als Rankingfaktor heranzuziehen. Da wir bei OnPage.org große Befürworter von sauberem OnPage SEO sind, haben wir diese Neuigkeit natürlich mit großer Freude vernommen. Auch wenn Link Spam in Russland wohl ein noch größeres Problem darstellt wie in vielen anderen Ländern, glaube ich fest daran, dass auch andere Suchmaschinen gut und gerne auf Backlinks als Rankingfaktor verzichen würden.
Abbildung: Marcus Tandler trifft den Yandex Head of Web Search Alexander Sadovsky in Moskau
Google beispielsweise ärgert sich ebenfalls sehr über Link Spam und hat nun auch endlich konkrete Maßnahmen zur Lösung des Problems unternommen. In Ermangelung valider Alternativen ist Google zwar sicherlich noch nicht restlos überzeugt, mittelfristig auf Links als Signal zu verzichten, aber ich bin der festen Überzeugung, dass OnPage SEO in den nächsten Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewinnen wird.
Letztlich geht es um das beste Ergebnis für den Suchenenden und eine OnPage-mässig perfekt optimierte Webseite ist ein guter Startpunkt, um genau dies zu erreichen.
Ich wollte mehr darüber erfahren, wie Yandex es geschafft hat auf Links als Ranking-Signal innerhalb ihres Ranking Algos zu verzichten. Also bin ich nach Moskau geflogen, um mich mit dem Head of Web-Search bei Yandex - Alexander Sadovsky - über Link Spam in Russland zu unterhalten.
Das habe ich erfahren:
Alexander, Yandex hat vor kurzem recht großen Buzz mit der Ankündigung erzeugt, in Zukunft bei kommerziellen Suchanfragen in der Region Moskau auf Links als Rankingfaktor zu verzichten. Welche Branchen sind im Moment davon betroffen?
Von nun an sind mehrere kommerzielle Bereiche von dieser Änderung betroffen, einschließlich Elektronik- und Haushaltsgeräte, Kleidung und Accessoires, Immobilien, Lifestyle und Gesundheit, Tourismus und Freizeit, einige Dienstleistungen (wie z. B. Anwälte), Webseiten-Entwicklung und auch SEO.
Aber wir vermuten, dass wir diese Praxis schon bald auch auf andere Geschäftsfelder ausweiten und bezahlte Links als Rankingfaktor auch für andere Regionen entfernen werden.
Wollt Ihr Links als Rankingfaktor insgesamt entfernen oder nur bei kommerziellen Suchanfragen?
Bei nicht kommerziellen Suchanfragen werden wir nicht auf Links als Rankingfaktor verzichten. Aber natürlich achten wir sehr genau darauf, welche gekauften Links auf nicht kommerzielle Webseiten wirklich zählen sollten.
Wie könnt Ihr die Stärke bzw. die Autorität einer Webseite bewerten, ohne dabei die Backlinks zu berücksichtigen?
Wir haben aktuell über 800 Faktoren, auf die wir uns konzentrieren, darunter sind OnPage Faktoren, wie z.B. Inhalt und Struktur der Webseite, als auch OffPage Faktoren. Wir sammeln alle möglichen Daten über die Webseite zusammen, selbstverständlich unter Einhaltung der Datenschutzbestimmungen unserer Nutzer.
Wie siehst Du die Bedeutung von (vorzugsweise tadellosem) OnPage SEO in Bezug auf eine gute Platzierung innerhalb der Yandex Suchergebnisse?
Grundsätzlich gibt es verschiedene Arten von Suchanfragen, die Suchmaschinen jeden Tag verarbeiten - “Core” Suchanfragen, die von Suchenden am häufigsten gesucht werden, wie auch Long Tail Suchanfragen (massenweise selten auftretender Suchanfragen). Es gibt mehr Long Tail als “Core” Suchanfragen und auch der Wert von Long Tail Suchanfragen scheint im Bezug auf die Conversion deutlich größer zu sein. Long Tail Suchanfragen sind typischerweise Mehrwort-Suchanfragen, daher sind die Inhalte einer Webseite gerade für eben solche Suchanfragen so enorm wichtig.
Was ist Deine Einschätzung, wie viele Links im kommerziellen Bereich purer Spam sind?
Die absolute Mehrheit. Das ergaben unsere Recherchen im russischsprachigen Segment des Internets (wir nennen es Runet).
Wie steht's um Link Spam in Russland im Allgemeinen?
Wir sind keine Experten auf diesem Gebiet - wir sind ja eine Suchmaschine :) Apropos - wir denken nicht, dass seriöse Firmen Link Spam nutzen sollten, um ihr Business zu bewerben, denn nicht nur der Traffic ist in Gefahr, sondern auch die eigene Reputation. Wir beobachten, dass Webseitenbetreiber nun mehr Aufmerksamkeit auf SEM, Content und die Usability Ihrer Webseite lenken, anstatt Links zu kaufen.
In einem Interview von 2012 schätzt der CEO eines der größten SEO-Unternehmen Russlands den Wert des Marktes von SEO-Dienstleistungen in Russland auf etwa 16 Milliarden Rubel (ca. 350 Millionen Euro), wovon 9 Milliarden russische Rubel für den Kauf von Links verwendet werden. Ist dies eine korrekte Einschätzung der Marktgröße? Was ist Deine Schätzung, wie viel Geld in Russland aktuell für den Kauf von Links ausgegeben wird?
Wir beschäftigen uns nicht mit SEO, deshalb vermeiden wir Schätzungen in diese Richtung. Aber eine Studie der russischen Assoziation für elektronische Kommunikation (RAEC) hat ergeben, dass der Markt für Suchmaschinenoptimierung 2012 auf 10,24 Mrd. RUB (+20% zu 2011) angewachsen ist. Für 2013 wird ein Zuwachs von mindestens 19% erwartet. Selbstverständlich können wir selbst nicht evaluieren, wie akkurat diese Zahlen sind.
Glaubst Du, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird? Vor allem jetzt wo Yandex angekündigt hat, nicht mehr auf Links bei kommerziellen Suchanfragen zu setzen?
Unser primäres Ziel ist es, unseren Usern das bestmögliche Sucherlebnis zu bieten. Wenn wir also über Rankingveränderungen entscheiden, dann verfolgen wir stets dieses eine Ziel. Jede Veränderung soll in erster Linie für den Nutzer hilfreich sein.
Der Trend einer solchen Refokussierung, also dass Webseitenbetreiber weniger Ressourcen für bezahlte Links aufwenden und sich mehr auf SEM und andere Maßnahmen fokussieren, ist für uns sehr interessant, weil dies dem User zu Gute kommt. Es ist sehr erfreulich, dass die Webmaster sich nun mehr mit Usability, ihren Inhalten und userfreundlichem Design beschäftigen anstatt ständig zu versuchen, die Suchmaschinen auszutricksen. Je besser Webseiten sind, desto bessere Ergebnisse kann Yandex präsentieren.
2011 wurden die sogenannten "User Verhaltensfaktoren" (User Intent) als Teil der Rankingformel bei Yandex vorgestellt. Wurden viele Manipulationen seitdem in diesem Bereich beobachtet?
Das Sicherheitssystem von Yandex kann Manipulationen der User-Verhaltensfaktoren sicher erkennen und von anderen betrügerischen Maßnahmen abgrenzen. Ich weiß gar nicht, wieviele Versuche es insgesamt gibt, aber wir beobachten solche Manipulationsversuche immer wieder.
Viele experimentieren herum und versuchen, die Anfälligkeiten unseres Algorithmus zu finden. Aber alle Webseiten solcher experimentierfreudigen SEOs sind nicht in den SERPs von Yandex vertreten :)
Wie siehst Du die Rolle der Social Signals als Ranking-Faktor? Denkst Du, dass diese eines Tages eine Alternative zu den Links werden?
Leider können wir das noch nicht öffentlich kommentieren. Aber selbstverständlich versuchen wir, so viele Daten wie möglich über jede Webseite zu aggregieren.
Die Benutzerfreundlichkeit einer Website scheint für Yandex sehr wichtig zu sein. Während meines Besuchs im Yandex HQ hast Du mir gegenüber erwähnt, dass Yandex versucht die Qualität einer neu gefundenen Seite zu prognostizieren, indem man die Usability betrachtet und diese mit anderen qualitativ hochwertigen Webseiten vergleicht. Kannst Du das etwas ausführlicher erklären?
Das Problem ist, je mehr wir über unsere Algorithmen erzählen, desto mehr manipulative und betrügerischen Versuche finden statt. Deshalb vermeiden wir, öffentlich darüber zu reden :)
Zum Schluss noch ein anderes Thema: Yandex hat vor kurzem mit der Ankündigung der so genannten Yandex “Islands” für Aufsehen gesorgt. Yandex "Inseln" sind interaktive SERPs / interaktive Rich Snippets, die Webmaster mit Hilfe bestimmter Erweiterungen des Open Graph Protocol in den Suchergebnissen platzieren können. Ihr bietet sogar Real-Time-Streaming via API, so dass der Benutzer tatsächlich mit einem solchen Snippet in den Suchergebnissen interagieren kann. Wie kommt das bei den Webmastern an? Seht Ihr eine signifikante Steigerung der Zufriedenheit bei den Suchenden, weil sie nun die Antwort auf ihre Fragen bereits in den Suchergebnissen bekommen, also ohne sich auf eine Webseite durchklicken zu müssen.
Ein guter Webmaster ist stets daran interessiert, mehr Traffic und höhere Conversions zu generieren. Und wenn er das durch die Hilfe von Yandex schafft, dann hat er seine Chance erfolgreich genutzt. Tatsächlich ist die Anzahl von Webmastern, die mindestens ein solches interaktives Snippet implementiert haben viel höher als die Anzahl der Inseln, die wir in unseren Suchergebnissen anzeigen.
Es gibt viele Arten von Webseiten, deren Inseln keinen Mehrwert für den Suchenden bieten. Deshalb versuchen wir, enger mit der Webmaster-Community zusammen zu arbeiten, um solche irrelevanten Inseln zu vermeiden und neue Regeln zu entwickeln, wie die interaktiven Snippets für den User ideal nutzbar werden.
Das Ziel eines Suchenden ist es, eine direkte Antwort zu bekommen oder ein Problem so schnell wie möglich zu lösen. Wenn die Suchmaschine in der Lage ist, die richtige Antwort mit einem Klick schon in den SERPs zu liefern oder bereits beim Eintippen der Suchanfrage, dann ist der Nutzer offensichtlich mehr als zufrieden. Dies ist gerade für mobile Surfer interessant, die aufgrund mangelnder mobiler Netzabdeckung oder überfüllter WiFi Hotspots nicht viel rumsurfen wollen um die gewünschte Antwort zu erhalten. Daher experimentieren wir im Moment sehr viel und implementieren solche neuen Features möglichst reibungslos.
Vielen Dank für das spannende Interview, Alexander!
Veröffentlicht am Aug 1, 2014 von Marcus Tandler