Usability und Neuromarketing sind artverwandte Disziplinen, die sich in vielen Dingen ähneln.
Vereinfacht ausgedrückt geht es bei der Gestaltung der Usability darum, dem Nutzer eines Produkts oder einer Website die Zielerreichung so einfach wie möglich zu machen – ganz gleich was sein Ziel auch sein mag. Der Prozess soll möglichst flüssig und ohne Hürden vollzogen werden können.
Im Neuromarketing herrscht ein ähnlicher Anspruch. Hier geht es jedoch nicht (nur) um die Einfachheit der Zielerreichung, sondern vor allem um ein für den Nutzer möglichst angenehmes, emotional positives Erlebnis. Die Einfachheit der Zielerreichung ist aber für gewöhnlich eine wichtige Grundvoraussetzung für ein angenehmes Erlebnis, insofern überschneiden sich Usability und Neuromarketing in diesem Punkt.
Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit ist die Nutzung von Eyetracking.
Informationen darüber, wie der Blick des Nutzers über ein Produkt, eine Werbeanzeige oder eine Webseite wandert, wo der Blick hängen bleibt und wie lange er verharrt, sind wichtige Hinweise. Diese lassen Rückschlüsse darauf zu, wie die dargestellten Informationen verarbeitet werden und ermöglichen es, den untersuchten Stimulus im Nachhinein zu optimieren.
In diesem Artikel möchte ich darauf eingehen, wie diese Technologie im Detail funktioniert und wie man sie einsetzen kann, um die User Experience (UX) gezielt zu verbessern.
In den letzten Jahrzehnten wurden einige sehr unterschiedliche Technologien vorgestellt, die allesamt mit mehr oder weniger großer Präzision vorhersagen konnten, wo ein Mensch zu einem gegebenen Zeitpunkt hinsieht. Moderne Eyetracker arbeiten dabei alle im Wesentlichen nach dem gleichen Prinzip.
Der Eyetracker, eine hochauflösende Kamera mit Infrarotlampen, wird vor dem Probanden, meist unter dem zu betrachtenden Monitor oder der Leinwand angebracht. Mittels infrarotem Licht wird die Augenregion des Probanden erhellt. Dieses Licht ist für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar, sorgt aber dafür, dass auch bei nahezu kompletter sonstiger Dunkelheit die Augenregion gut gefilmt werden kann.
Abbildung 1: Beispiel eines Eyetrackers, der bei Studien verwendet wird.
Die Aufzeichnung der eigentlichen Blickrichtung erfolgt anhand der relativen Stellungen der Pupillen und des sogenannten Cornea-Reflexes. Die Pupille ist jener dunkle Teil, durch den das Licht auf die dahinterliegende Netzhaut gelangt – sozusagen "das Schwarze" des Auges. Der Cornea-Reflex ist eine kleine Lichtreflexion, die je nach Lichteinfall meist innerhalb der Pupille oder direkt daneben liegt. Bei konstanter Lichtquelle ändert sich bei einer Blickbewegung der Mittelpunkt der Pupille relativ zur Position des Cornea-Reflexes. Nimmt man beide Informationen zusammen, kann man aus der sich veränderten relativen Position auf eine Veränderung der Blickrichtung schließen.
Abbildung 2: Die einzelnen Schritte beim Eyetracking
Das Wissen darüber, wo der Blick hinfällt, ist nur die Grundvoraussetzung für das, was einen Usability Forscher oder Neuromarketer eigentlich interessiert: Welche Informationen werden vom Nutzer wahrgenommen und verarbeitet, welche nicht? Und hier wird es tricky.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass eine Fixation, das heißt das längere (je nach Kriterium etwa gut 100ms und mehr) Verharren des Blicks auf ein- und derselben Position, nicht zwangsläufig bedeutet, dass die dort befindlichen Informationen verarbeitet werden.
Wir kennen das alle: Unsere Gedanken schweifen ab und unser Blick bleibt mehr oder weniger still auf einer Position. Wir starren Löcher in die Luft.
Das, was das Auge erfasst, erreicht zwar mit ziemlicher Sicherheit das Gehirn – es wird gesehen. Ob es aber auch wahrgenommen wird, wissen wir nicht und können wir mit Eyetracking auch nicht herausfinden.
Umgekehrt wissen wir auch, dass Informationen, die nicht direkt angesehen wurden, beispielsweise ein Hintergrundbild oder eine bewegte Animation in der Peripherie des Blickfeldes, durchaus einen Einfluss auf unser Verhalten und Erleben haben. Gerade wenn es darum geht, Marken oder Produkte emotional aufzuladen, kann sich eine periphere Präsentation emotionaler Inhalte lohnen.
In sozialen Kontexten kann es sogar vorkommen, dass jemand absichtlich in die eine Richtung sieht, sich aber eigentlich auf einen ganz anderen Reiz in seiner Umgebung konzentriert, von dem nur niemand merken soll, dass er betrachtet wird. Auch dieses Verhalten kann der Eyetracker natürlich nicht erfassen.
Die gute Nachricht: Im Business-Kontext spielen solche Phänomene eigentlich keine Rolle.
Fakt ist: In den meisten Fällen beschäftigen wir uns mit den Inhalten, die wir gerade ansehen.
Unser Blickverhalten nimmt dabei bestimmte, äußerst charakteristische Muster an, die uns einiges über den Menschen verraten, der dieses Blickbewegungsmuster produziert.
Orientierungsverhalten wie beim erstmaligen Betrachten einer unbekannten Webseite oder beim Suchen nach einer bestimmten Information, geht für gewöhnlich mit eher kurzen Fixationen und dafür relativ weiten Sakkaden, also weiten Distanzen zwischen einer Fixation und der nächsten einher. Dies ist ein charakteristisches Bild, wenn Informationen nicht verarbeitet, sondern erst einmal gesucht werden.
Wurde dann eine Informationsquelle entdeckt, die auf Interesse stößt, beispielsweise ein Preispunkt, weil er für den Nutzer relevant ist, nimmt die Dauer der Fixationen deutlich zu. Eine einzelne Fixation kann mehrere hundert Millisekunden bis zu über einer Sekunde dauern – wobei letzteres eher ein Indiz dafür ist, dass der Proband geistig mit etwas anderem beschäftigt gewesen ist als dem betrachteten Objekt.
Wir halten fest: Im Marketing ist es wichtig, dass relevante Informationen schnell gefunden und hinreichend lang betrachtet werden. Gerade bei der Webseitengestaltung, bei der oft eine Fülle unterschiedlicher Informationen zugleich präsentiert wird, ist es daher wichtig die Zahl der Distraktoren, das heißt die Anzahl derjenigen Objekte, die Aufmerksamkeit binden, obwohl sie eigentlich für den Nutzer relevant sind, möglichst gering zu halten.
In der folgenden Abbildung fällt beispielsweise auf, dass das Wort "präsentiert" erstaunlich viel Aufmerksamkeit bekommt:
Abbildung 3: Ergebnisauswertung einer Eyetracking Studie (Heatmap)
Doch nicht nur die absoluten Fixationsdauern spielen eine Rolle. Auch der sogenannte gaze path, also die Reihenfolge, in der unterschiedliche Objekte betrachtet werden, und die relative Verweildauer des Blicks auf einem Punkt sind wichtige Informationsquellen.
Abbildung 4: So kann die Blickrichtung eines Probanden auf einer Webseite verlaufen
Welches Objekt zieht die meiste Aufmerksamkeit? Wenn es ein call-to-action ist, wurde alles richtig gemacht. Ist es hingegen beispielsweise ein Werbebanner oder ein Hintergrundbild, spricht es dafür, dass die aus Unternehmenssicht zentralen Elemente der Webseite übersehen werden. Man spricht hier auch vom Vampir-Effekt: Unwichtige Details saugen die Aufmerksamkeit des Nutzer, während die zentrale Botschaft untergeht.
Werden der call-to-action und beispielsweise die Kontaktinformationen zwar gesehen, aber zunächst ignoriert, ist dies ebenfalls kein gutes Zeichen. Diese Art des gaze paths spricht gegen die Wirksamkeit des calls-to-action, er scheint wenig überzeugend zu sein. Auch eine generell breit verteilte Aufmerksamkeit, bei der zwar viele Einzelelemente der Webseite angesehen werden, bei der aber kein klarer gaze path erkennbar wird, spricht gegen ein wirksames Webdesign.
Wirkungsvolle Webseiten sind im Idealfall durch einen klaren Blickverlauf und einige wenige visuell hervorgehobene, zugleich für den Nutzer relevante Objekte gekennzeichnet.
Aber auch hier gilt, wie überall: Ein Patentrezept gibt es nicht.
Jeder Versuch der Etablierung eines Standardformats oder Webseitenaufbaus, der alle Usability Anforderungen erfüllt, hat sich schnell überlebt, da nicht nur "kalte" Informationsverarbeitung, sondern vor allem "heiße" Emotionen darüber entscheiden, ob eine Webseite konvergiert.
Ein Aufbau oder ein Design, das sich als wirkungsvoll erweist, kann schon kurze Zeit später wieder langweilig und altbacken wirken. Deshalb geht es (auch) darum, Schritt für Schritt, Anreize zu schaffen und dem Nutzer etwas Neues zu präsentieren.
Veröffentlicht am Feb 10, 2016 von Benny Briesemeister