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Customer Journey und (Kauf-)Motivation – zur richtigen Zeit die richtigen Informationen

Handlungs- und Kaufmotive sind wahrscheinlich so vielfältig, wie die Menschheit selbst. Sie hängen ab von unseren Erfahrungen, unseren Interessen, unseren Emotionen und Stimmungen, nur: Mit dieser unübersichtlichen Vielfalt an Einflussfaktoren kann man im Marketing natürlich nicht arbeiten.

Der Bedarf und die Nachfrage nach praktischen Vereinheitlichungen, nach aussagekräftigen Kaufmotiv-Modellen ist entsprechend groß.

Schaut man sich den Markt an, gibt es unterschiedliche Modelle. Einige stammen aus der Wissenschaft und versuchen grundlegende Motivsysteme auf konkrete Fragestellungen der Marketingpraxis zu übertragen, andere wurden in der Praxis entwickelt und im Idealfall durch wissenschaftliche Untersuchungen erweitert und bestätigt. Doch egal, wo ein Motivmodell seinen Ursprung hat, es bleibt immer ein Modell.

Eine Vereinfachung der tatsächlichen Welt.

Ein Modell ist aber immer nur so gut, wie die Daten, anhand derer es entwickelt wurde. Deshalb sollte man stets aufpassen, wofür man ein Modell verwendet. Der im deutschsprachigen Raum weit verbreitete "Limbic Ansatz" der Gruppe Nymphenburg beispielsweise, stammt meines Wissens ursprünglich aus dem Bereich der Markenführung.

Mittlerweile wurde er auch für die Zielgruppenbestimmung adaptiert – was kein Problem sein sollte, schließlich bestehen zwischen Markenführung und Zielgruppenbestimmung weitreichende Parallelen.
Im Personalmarketing konnte sich der Limbic Ansatz hingegen bislang trotz nachweislicher Versuche nicht etablieren. Hier spielen bewusst-rationale Abwägungen präfrontaler Hirnstrukturen offenbar eine größere Rolle, als die im Einzelhandel so bedeutsamen limbischen Impulse, weshalb das Modell oftmals zu kurz greift.

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Die Customer Journey: Vom Impulskauf zur wohl durchdachten Entscheidung

Ein weiterer Bereich des Marketings, bei dem der Limbic Ansatz der Gruppe Nymphenburg meiner Meinung nach zu kurz kommt, ist die sogenannte Customer Journey. Hierunter versteht man die in lose Zyklen gegliederte Reise, die ein Konsument zurücklegt, ehe er zu einer (Kauf-)Entscheidung gelangt. Vom Moment des ersten Bewusstwerdens, dass es eine bestimmte Marke überhaupt gibt, über das Wachsen des Interesses, dem Wunsch die Marke zu besitzen, der eigentlichen Entscheidung bis hin zur Umsetzung dieser Entscheidung können Jahre vergehen.
Oder nur Bruchteile einer Sekunde.

Denn: Die gesamte Customer Journey kann in einem einzigen Touchpoint realisiert sein. Wenn der Kunde vor dem Regal steht, das erste mal eine Marke entdeckt und spontan beschließt, sie auszuprobieren – ein Impulskauf – verkürzt sich die Customer Journey auf einen einzigen Berührungspunkt. Sie kann aber auch hunderte Touchpoints umfassen: Ein Werbespot zur Markeneinführung, die Suche im Internet nach weiteren Informationen, Gespräche mit Freunden und Bekannten, Empfehlungen, erste Erwägungen, wenn die Marke im Supermarkt entdeckt wird, weitere Nachforschungen, die Einführung eines Re-Designs, usw.

Aber gerade weil die Customer Journey so unvorhersehbar ist, der Kunde zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kontakt mit der Marke kommen kann, macht es aus meiner Sicht wenig Sinn, von einem (weitgehend) statischen Handlungsmotiv auszugehen, das durch die Marke bedient werden muss.

Große Marken zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie verschiedene Motive bedienen. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Motive im Wandel der Zeit

Werfen wir zunächst einen Blick auf den wissenschaftlichen Großvater des Limbic Ansatzes, das Zürcher Modell der Sozialen Motivation. Der aus meiner Sicht größte Unterschied zwischen den beiden Modellen (auch wenn es noch zahlreiche weitere gibt!), liegt in der expliziten Berücksichtigung von Veränderungen in der Motivlage.
Motive sind dynamisch.

Das Erregungsmotiv im Zürcher Modell, beispielsweise, besagt, dass wir gern neue Erfahrungen machen und Neues ausprobieren. In dieser Hinsicht ist es artverwandt mit dem Stimulanzmotiv des Limbic Modells. Das Zürcher Modell sagt aber auch: Wenn wir immer weiter neue Objekte suchen, die Erfahrung weiter steigern, dann verändert jede Begegnung mit einem neuen Objekt, beispielsweise einer neuen Marke, unsere Erwartung und unser Bedürfnis – bis zu dem Punkt, an dem unsere Neugier befriedigt ist.

Mehr noch: Neue Objekte können spannend sein und uns neugierig machen, aber wenn sie uns in einem Moment erreichen, in dem wir genug Neues hatten, wenn sie "zu neuartig" sind, machen sie uns unter Umständen sogar Angst. Das mag zunächst befremdlich klingen.

Wenn man aber ein bisschen darüber nachdenkt: Scheitern neue Marken tatsächlich so oft, weil sie überflüssig sind? Oder nicht auch deshalb, weil uns neue Marken, mitunter, ein wenig suspekt sind?

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Abbildung 1: Zürcher Modell der sozialen Motivation (Quelle: Felix Schönbrodt)

Noch eindeutiger ist die Dynamik der Motive, wenn man sich das sogenannte Sicherheitssystem des Zürcher Modells ansieht, in gewisser Weise das Äquivalent des Balance Motivs aus dem Limbic Ansatz: Ja, natürlich lieben wir große, bekannte Marken. Wir kaufen gern das, was wir schon kennen. Wir besuchen gern die Webseiten, die wir immer besuchen. Immerhin wissen wir dort, was uns erwartet, und wissen es zu schätzen.

Aber: Mit der Zeit wird "more of the same" langweilig. Wir werden überdrüssig, um es mit der Terminologie des Zürcher Modells zu sagen.

Bis zu einem Punkt, wo jedes bisschen Abwechslung gut tut und wir etwas Neues ausprobieren.

Lange Rede, kurzer Sinn: Motive sind dynamisch!

Jede Information beeinflusst uns – mal mehr, mal weniger

Werden wir ganz praktisch: Wenn ich Youtube besuche, was will ich dann dort erreichen?
Will ich etwas lernen? Dann ist es wichtig, dass ich schnell zu den Informationen gelange, die ich gesucht habe. Hier hilft eine gute Suchfunktion.

Will ich mich ein bisschen unterhalten? Ablenken vom Alltag? Dann will ich gerade nicht ständig neue Videos auswählen (und vor allem nicht immer nur die gleichen, die ich schon kenne), sondern erwarte eine gewisse Abwechslung.

Für genau solche Momente hat Youtube die Autoplay Funktion implementiert: Endet ein Video, startet nach kurzer Zeit das nächste. Ohne dass ich etwas klicken oder mich entscheiden muss. Ich kann mich einfach berieseln lassen. Aber auch hier gilt: Zu viel führt irgendwann zu Überdruss. Im konkreten Beispiel dauert es bei mir meist nicht lange, ehe ich doch wieder dazu übergehe selbst Videos auszuwählen, bzw. bis ich Youtube ganz verlasse. Das, was Youtube mir präsentiert, ist in den meisten Fällen ziemlicher Mist, der mich nicht interessiert, bzw. mich sogar nervt.
Meine Motivation ändert sich.

Im Rahmen einer Customer Journey über viele unterschiedliche Touchpoints ist es relativ einleuchtend, dass ein Nutzer, der das erste mal einen Werbespot sieht, nicht in der gleichen motivationalen Situation ist (besser noch: sein kann!), wie zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung. Beim Youtuben sind Veränderungen der Motivation ebenfalls nachvollziehbar. Grund für diesen Blogbeitrag – und zentrale Botschaft – ist jedoch: Selbst während der Interaktion mit einer einzigen Webseite kann sich die Motivation des Nutzers ändern.

Die Quintessenz: Was ich alles falsch mache (und was man daraus lernen kann)

Nehmen wir ein Blog wie das Ryte Magazine. Die meisten Besucher werden etwas neues Lernen wollen (Erregungsmotiv), oder sich Ratschläge erhoffen, die sie in die Lage versetzen Dinge zu tun, die sie zuvor nicht tun konnten (Machtmotiv). Wahrscheinlich sind viele Zufallsbesucher hier, weitergeleitet von google oder bing auf der Suche nach einem bestimmten Begriff. Aber vielleicht findet sich auch der ein oder andere Leser, der bei der Suche nach weiteren Goldstücken den gesamten Webblog durchstöbert oder wiederkehrt, weil sich die frühere Lektüre gelohnt hat (Sicherheitsmotiv).
Ich hoffe es zumindest.

Aber schon hier, auf dieser ersten Ebene, wird deutlich: alle drei zentralen Motive des Neuromarketings sind vertreten. Es gibt keine spitze Zielgruppe, wenn man sie nicht selbst aktiv zuspitzt.

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Das erste, das für gewöhnlich gelesen wird, ist die Überschrift eines Artikels. In diesem Fall handelt es sich um eine Mischung aus Buzzword-Bingo (Customer Journey, Motivation) und Teaser im Untertitel. Gut für Machtmenschen. Schlecht für stark Sicherheitsmotivierte, die wahrscheinlich wenig damit anfangen können und nach renommierten Alternativen suchen. Einen großen Teil der potenziellen Leserschaft verliere ich also innerhalb der ersten Sekunde, bzw. noch bevor auf den Artikellink geklickt wird.
Vielleicht hätte ich den Beitrag: "Customer Journey – 10 Tips, wie Deine Leser zum Weiterlesen motivierst" nennen sollen.

Der eigentliche Text beginnt mit einer Einführung in Modelle und ihren Nutzen im Marketing. Abstrakter geht es kaum. Der Sicherheitsmotivierte (sofern er nicht längst das Weite gesucht hat) wird hier einige vertraute Ideen wiederfinden und endlich doch ein bisschen motiviert, zu bleiben. Der Machtmensch hingegen denkt sich wahrscheinlich: "Komm zum Punkt" und sucht den fast forward button.
Deswegen ist es so wichtig mit eindeutigen Zwischenüberschriften und Bildern zu zeigen, wo im Text welche Informationen zu finden sind.

Der Erregungsmotivierte tickt in diesem Fall ähnlich und sucht nach neuen, handlungsrelevanten Informationen. Wahrscheinlich hätte mein erster Absatz eher lauten sollen:
"Hast Du Dich schonmal gefragt, warum Youtube seine Nutzer bevormundet? Ihnen einfach ungefragt Videos vorspielt?", um dann mit dem Youtube Beispiel fortzufahren.
Das wäre abwechslungsreicher gewesen.
Erregender, in den Worten des Zürcher Modells.

Stattdessen kommen die wirklich spannenden Erkenntnisse bei mir zum Schluss. Kurz vorm Ende des Artikels, wenn ich alle Leser mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne bereits verloren habe.
Du siehst: Ich halte mich nicht an meine eigenen Ratschläge.
Aber Du siehst hoffentlich auch: Ich habe ein klares Bild meines Lesers im Kopf.

Man kann es nicht allen Recht machen

Mit den Methoden des Neuromarketings kann man untersuchen, welche Elemente einer Webseite welche Motive ansprechen. Man kann messen, wie sich Motive verändern, abhängig davon, was angeschaut wurde.
Und mit diesen Informationen kann man anfangen, die Customer Journey zu optimieren.

Wem das zu aufwendig ist, der sollte die Neugier seiner Leser erst füttern, um dann das neue Wissen mit Fakten anzureichern. Denn auch der neugierigste Leser kann nur ein gewisses Maß neuer Informationen verdauen.
Wichtiger ist es, das neu gelernte in bereits bestehendes Wissen zu integrieren.
Umgekehrt kann es sinnvoll sein, zunächst ein paar Fakten zu präsentieren, um den misstrauischen Leser abzuholen und Vertrauen zu schaffen. Geendet werden sollte dann mit ein paar Beispielen und Anwendungen, um neue Impulse zu setzen.

Denn auch bei misstrauischen Lesern ändert sich die Motivation.

Du siehst für welchen Weg ich mich entschieden habe.
Ich hoffe, es war nicht der falsche.

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Veröffentlicht am Apr 28, 2016 von Benny Briesemeister