Webseiten sind die modernen Multitalente der Kommunikation. Sie sollen Fakten vermitteln, wenn faktische Informationen benötigt werden. Sie sollen Emotionen transportieren und den Nutzer begeistern, ihn mitnehmen auf eine erlebnisreiche Reise.
Die Kommunikation über das Internet ist nicht mehr so einseitig, wie sie es ursprünglich war – Webseiten ermöglichen Interaktion zwischen Unternehmen und Verbrauchern in beide Richtungen. Dies ist eine große Chance, aber auch ein Risiko.
Das Web ist unser ständiger Begleiter geworden. Ob Zuhause oder unterwegs, ob als gezielte Unterstützung oder kleiner Helfer im Hintergrund. Es umgibt uns. Immer.
Und ganz nebenbei nutzen wir Webseiten auch für unsere täglichen Erledigungen, für unseren Einkauf.
Die Anforderungen, die heutzutage an eine gute Webseite gestellt werden, sind kaum noch mit den Anforderungen von vor ein paar Jahren zu vergleichen. Das Web soll alles bieten, was wir suchen, in dem Moment, in dem wir danach suchen und am besten ohne Aufwand und ohne Kosten. Klingt anspruchsvoll? Ist es auch. Und je höher der Anspruch, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht.
Im Marketing hat man lange erkannt, dass jeder Kontakt eines potenziellen Konsumenten mit einem Unternehmen ein Chance ist, das Wort “potenziell” zu streichen. Deswegen besteht ein großes Interesse daran, den Entscheidungsweg des Konsumenten zu erkennen, nachzuvollziehen und zu optimieren. Es werden insgesamt vier Schritte unterschieden, von einer ersten Kontaktaufnahme mit einem Produkt oder einer Marke über das Einholen detaillierter Informationen bis hin zum Kauf und der Interaktion mit dem Produkt.
Heutzutage findet in nicht wenigen Fällen die gesamte Consumer Decision Journey online statt – nicht selten auf nur einer einzigen Website. Ich kann Amazon beispielsweise als Informationsquelle nutzen, um herauszufinden, wie teuer ein Buch ist und zu welchem Preis ich es gebraucht bekomme. Ich kann mir in vielen Fällen einen ersten Eindruck verschaffen, indem ich in der Leseprobe blättere und schaue, ob mir der Inhalt gefällt. Die Meinungen anderer Nutzer sind ebenso verfügbar wie die Möglichkeit, selbst eine Rezension zu schreiben – all das, ohne dass ich das Buch kaufe.
Wenn aber alle Entscheidungsstadien so eng zusammenrücken, rückt das nicht nur die Bedeutung von Details in den Vordergrund, es erschwert auch das Management des Entscheidungsprozesses erheblich. Wenn Informationssuche und Kauf, Bewertung und Empfehlung quasi zeitgleich stattfinden und miteinander verschwimmen – wie soll man dann die einzelnen Prozesse sauber von aneinander abgrenzen?
Oder anders ausgedrückt: Ist die Information, dass Kunden, die dieses Buch angesehen haben, auch nach anderen Büchern suchten, hilfreich für den Entscheidungsprozess oder nicht vielleicht schon zuviel des Guten?
Abbildung 1: "Neuromarketing kann dazu beitragen zu verstehen, wie Informationen bewertet werden."
Ein Weg zur Vorabuntersuchung von Webseiten, der sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren etabliert hat, ist die Analyse des geplanten Seitenaufbaus mittels Blickbewegungsverfahren (Heat Maps und Scan Paths). Dies hat den Vorteil, dass man als Webseitenbetreiber relativ gut vor Augen geführt bekommt, welche Informationen die Nutzer einer Webseite tatsächlich suchen und wie diese Informationen ihre weitere Suche nach Informationen beeinflussen. Man sieht, wenn der Nutzer verwirrt ist, wenn er Informationen sucht, aber nicht findet und vor allem bekommt man aufgezeigt, welche Informationen der Nutzer nicht wahrnimmt – aus welchen Gründen auch immer.
Schauen sich die Kunden den Informationsbalken mit alternativen Produkten überhaupt an? Und wenn ja, verweilt der Blick dort, oder fliegt er nur schnell drüber, frei nach dem Motto: „Gesehen und wieder vergessen.“
Was man nicht sieht, ist, wie sich die einzelnen Informationen auf seine Decision Journey auswirken.
Webseiten sind heutzutage wie bereits erwähnt Multitalente der Kommunikation. Sie enthalten Texte, Bilder, Videos, Animationen, … alles Consumer Touchpoints, die einen Effekt haben können. Wenn sie dem Webseitenbesucher das bieten, was er erwartet – oder mehr – dann wurde alles richtig gemacht.
Aber was, wenn nicht?
Blickbewegungsverfahren können uns sagen, wohin ein Webseitenbesucher schaut und welche Informationen er wahrnimmt. Ob er sie verarbeitet, wie er sie bewertet, wie sie sich auf die Consumer Decision Journey und seine Entscheidung auswirken, können Blickbewegungsverfahren nicht aufzeigen.
Hierzu braucht es Neuromarketing.
Abbildung 2: "Es geht nicht (nur) darum zu wissen, welche Infomationen wahrgenommen werden..."
Kombiniert man Blickbewegungsverfahren mit peripherphysiologischen Verfahren (wie zum Beispiel der Messung des Hautleitwiderstands) und elektrophysiologischen Verfahren (wie zum Beispiel Elektroenzephalografie), beides Standardmethoden im modernen Neuromarketing, erschließt sich dem Webseitenbetreiber eine ganz neue Welt. Man erfährt nicht mehr nur, welche Teile einer Website, welche Informationen gesehen wurden und welche nicht. Man erfährt, ob diese Informationen auch tatsächlich neuronale Prozesse in Gang gesetzt haben, die den Zielen der Website – informieren, emotionalisieren und eventuell verkaufen – zuträglich sind.
Für jeden Moment, den das Auge auf einem Bild oder einer Textzeile verharrt, lässt sich so überprüfen, ob die bereitgestellten Informationen verarbeitet oder ignoriert werden. Es lässt sich herausfinden, ob der Nutzer emotional angesprochen wurde und ob diese Emotionalisierung ihn dazu motiviert, sich weiter mit den verfügbaren Informationen zu beschäftigen – bis hin zum Kauf – oder ob sie dazu beitragen, dass er sich abwendet und nach Alternativen sucht. Trägt die Information über das Verhalten anderer Konsumenten dazu bei, dass das gerade angezeigte Produkt gekauft wird? Oder verleitet sie eher zur Suche nach eben jenen anderen Artikeln?
Mit neurowissenschaftlichen Methoden lässt sich sogar messen, ob Informationen ins Gedächtnis übertragen werden. Gerade für Webseiten, deren Hauptziel im Bereich Werbung und Imagebildung liegt, ist dies ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Kriterium für Erfolg. Es lässt sich untersuchen, ob ein Text wirklich sinnentnehmend gelesen oder nur kurz überflogen wurde.
Abbildung 3: "...sondern vor allem darum, wie jede einzelne Information im Hirn des Konsumenten wirkt."
Bedenkt man, dass die Fixation auf einem Element einer Webseite mitunter weniger als eine halbe Sekunde andauert und dass in dieser halben Sekunde mitunter entscheidende Informationen aufgenommen und Meinungen gebildet werden, ist die Kombination aus Blickbewegungsverfahren mit den Methoden des modernen Neuromarketing ein mächtiges Werkzeug um zu einem tieferen Verständnis des Nutzungsverhaltens und vor allem des Erlebens durch den Nutzer zu gelangen.
Mit Hilfe von Neuromarketing ist es heutzutage möglich, nahezu jedes Element einer Webseite auf seine Wirkung hin zu überprüfen, Schwachstellen im Webdesign zu entdecken und diese dann gezielt zu beheben. Wir wissen aus der traditionellen Kaufverhaltensforschung, dass eine reibungslose Consumer Decision Journey eine wichtige Voraussetzung für den Einkauf ist – bzw. dass jeder Reibungspunkt effektiv den Umsatz senkt.
Die Frage ist nur: Wo sind diese Reibungspunkte und wie wird man sie los.
Übertragen auf Webseiten bedeutet dies, dass ein Bild nicht nur mehr wert ist, als 1.000 Worte. Wenn Informationssuche, Meinungsbildung und Kaufentscheidung verschwimmen, kann ein Bild oder eine falsch gesetzte Überschrift auch darüber entscheiden, ob Kunden kaufen oder unverrichteter Dinge wieder gehen. Wenn Amazon das Produkt vor weißen Hintergrund zeigt: Reicht das für eine emotionale Ansprache? Ist die Präsentation nicht vielleicht zu sachlich?
Die gute Nachricht ist, dass wir es nicht mehr dem Zufall überlassen müssen, ob Webseiten die Bedürfnisse und Erwartungen unserer Nutzer treffen und bedienen.
Wir können es messen.
Veröffentlicht am Jul 31, 2015 von Benny Briesemeister