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Customer Lifetime Value – eine Kennzahl und ihre Tücken

Die Fülle von Kennziffern, die für E-Commerce und Online-Marketing zur Verfügung stehen, fordern Online Marketeer und Geschäftsführungen heraus. Welche Kennziffer ist wichtig und schafft es zum KPI?

Auf welche Kennziffern sollte also ein Fokus gesetzt werden, um nachhaltige Erfolge im Online-Marketing und E-Commerce zu erzielen?

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Diese und ähnliche Probleme lassen sich durch Kennzahlenmodelle beheben, die wichtige Metriken in einen logischen Zusammenhang stellen. Ein Modell sollte für ein wichtiges Ziel oder die Strategie eines Unternehmens stehen. Ein solches Kennzahlenmodell ist der Customer Lifetime Value (CLTV), das zunehmend die Qualität eines Standardmodells hat. Gerade im E-Commerce und Online-Marketing, wo sich via Analytics unmittelbare Insights in das Kundenverhalten ergeben, hat der CLTV großes Potenzial. Er ist nachweislich das Erfolgsmodell für viele erfolgreiche Pure Player im E-Commerce. Allerdings - und auch das ist Gegenstand dieses Beitrags - ist der CLTV keinesfalls die eierlegende Wollmilchsau, zu der sie so mancher Marketingexperte macht. Da der CLTV eine zusammengesetzte und damit komplexe Kennziffer ist, können damit auch viele Fehler gemacht werden.

Nach einer kurzen Erklärung und Definition des CLTV-Modells werde ich zwei Anwendungsfälle für den CLTV vorstellen. Zum einem ist das der Einsatz des CLTV als Budgetierungsansatz für das Online-Marketing, zum anderen der Einsatz des CLTV als ganzheitliches Steuerungsinstrument. Da dabei einige Schwierigkeiten auftauchen, lohnt es sich nach einem Vorbild für die CLTV Steuerung zu suchen. Daher präsentiere ich zum Schluss als Praxis-Beispiel Amazon mit seiner Strategie der Customer Centricity und zeige wie auch kleine Unternehmen kundenzentrierte CLTV-Strategien und Modelle verfolgen können.

1. Customer Lifetime Value – so funktioniert’s

Der Customer Lifetime Value lässt sich am besten als Investition in Kundenbeziehungen interpretieren. Das Modell beschreibt einen zeitlichen Rahmen, in dem in der Gegenwart durch Online-Marketing Kundenakquise betrieben wird und Akquisekosten (AK) entstehen. Demgegenüber stehen nachfolgende, also in der Zukunft liegende Erträge, die für die Dauer der Kundenbeziehung erwartet werden können. Diese Dauer - die Customer Lifetime - gibt dem Modell ihren Namen. Damit ist keineswegs eine biologische Lebenszeit gemeint, sondern vielmehr die zu erwartende Spanne der Loyalität eines Kunden. Diese kann je nach Markt und Wettbewerb eines E-Commerce-Unternehmens 90 Tage, 2 oder 10 Jahre betragen.

Als Investitionsrechnung erfordert der CLTV eine etwas komplexere Mathematik, die aber zum Kanon betriebswirtschaftlicher Rechnungen gehört. Der CLTV kann danach wie folgt definiert werden:

Dabei sind

  • AK die Akquisekosten

  • DB der Deckungsbeitrag einer Periode

  • MK die Kundenbetreuungskosten

  • rr die Retention Rate, die die Kundenbindung angibt

  • i ein interner Zinssatz, mit dem die Barwerte künftiger Erträge gebildet werden

  • n die Anzahl der Perioden und damit die Dauer des Customer Lifetimes.

Diese Diskontierung künftiger Erträge ist erforderlich, um aktuelle Akquisekosten und zukünftige Deckungsbeiträge vergleichbar zu machen. Würde man auf die Diskontierung verzichten, wäre das Modell zu optimistisch. Als Diskontfaktor lässt sich der Kapitalkostensatz des Unternehmens verwenden. Er kann aber auch individuell zusammengesetzt sein und besondere Risiken berücksichtigen.

Ein einfaches Beispiel zeigt, wie sich nun der CLTV konkret berechnen lässt:

Angenommen ein Kunde gibt bei einem Onlinehändler üblicherweise 200 € pro Jahr aus, aus denen ein Deckungsbeitrag I von 80 € resultiert. Die Akquisekosten sind einmalig 50 €, die jährlichen direkten Kosten der Kundenbetreuung etc. sind 10 €, die Retention Rate beträgt 85%. Als Kundenbindungszeitraum wird von 5 Jahren ausgegangen, als Zinssatz werden 5% zugrunde gelegt.

Daraus ergibt sich bei der Customer Lifetime Value Berechnung:

CLTV = – 50 € + 194,07 € = 144,07 €

Der CLTV als diskontierte und bereinigte Größe ist durch Berücksichtigung der Retention Rate, der Marketing- und Kundenbetreuungskosten sowie der Diskontierung also deutlich geringer als die Summe der Brutto-Deckungsbeiträge, die bei einer Kundenbindung von fünf Jahren 400 € betrügen würde.

Die Messung und Bestimmung des Customer Lifetime Value als Zielwert ist nicht ganz trivial. Entscheidend dabei ist die Zuordnung von Akquisekosten zu individuellen Kunden bzw. Kundensegmenten. Das Modell impliziert ja, dass Akquisekosten und Erträge aus Kundenbeziehungen abhängig zueinander sein müssen. Entsprechend muss dieser Zusammenhang auch identifizierbar sein. Wie aber geht man mit einer Situation um, bei der ein nicht registrierter Kunde einen Zeitraum von z.B. 3 Wochen zwischen Erstbesuch des Onlineshops und Erstbestellung verstreichen lässt?

Auch die vollständige Erfassung der Akquisekosten ist nicht ganz einfach. Theoretisch sind die Akquisekosten einfach zu erfassen. Mit folgender einfacher Formel lässt sich der Cost-per-Order (CPO) als Faustformel für die Akquisekosten einer Bestellung und damit eines Kunden bestimmen:

Allerdings ist das nur eine Näherungsrechnung. Wie lassen sich etwa die Kosten für Suchmaschinenoptimierung quantifizieren? Sind Suchmaschinenkosten direkte Kosten oder Gemeinkosten? Müssen für direkte Zugriffe Akquisekosten berücksichtigt werden oder nicht.

Diese und andere Fragen sind komplex und erfordern Festlegungen, die auf unternehmensindividueller Grundlage erfolgen müssen. Es lohnt sich aber, die Grundlagen für den Customer Lifetime Value zu schaffen, denn damit hat jedes E-Commerce Unternehmen ein Planungs- und Steuerungsinstrument in der Hand, das den Kundenwert als zentrale Bestandteil des Unternehmenswerts erhöhen helfen kann.

2. Der Einsatz des CLTV im E-Commerce Controlling

Mit der oben vorgestellten Kunden-Investitionsrechnung ist der CLTV zwar bestimmt, es ist aber noch nicht klar, wie er denn eingesetzt werden kann. Dazu gibt es zwei grundsätzliche Ansätze: Zum einen kann der CLTV ein Planungsinstrument für Online-Marketing und E-Commerce sein, zum anderen ein Steuerungsinstrument, das die Ergebnisse erfasst und analysieren hilft.

a. Der CLTV als Planungsinstrument

Der Customer Lifetime Value enthält eine Vielzahl von Variablen, die es erschweren, den Ist-Wert für einzelne Kunden zu ermitteln. Daher ist der einfachste Weg, in das Modell CLTV einzusteigen, den CLTV zunächst als Planungsinstrument zu verwenden. Dabei wird der CLTV genutzt, um Ziele zu quantifizieren und um insbesondere den Online-Marketing-Aufwand festzulegen.

Zunächst muss dazu die durchschnittliche Kundenbindungsdauer, die Bindungswahrscheinlichkeit - also die Retention Rate rr - sowie die der durchschnittlich zu erwartende Deckungsbeitrag geplant werden. Der Diskontfaktor ergibt sich aus der internen Rendite, mit der das eingesetzte Kapital verzinst werden soll. Beispielhaft können folgende Werte unterstellt werden:

  • Kundenbindungsdauer: 2 Jahre

  • Retention Rate: 85%

  • Deckungsbeitrag: 50€

  • Rendite: 10%

  • Gemeinkosten je Kunde: 30 €

  • Gewinn je Kunde: 5 €

Daraus ergibt sich ein Brutto-Kundenwert von

Brutto-CLTV = 0,85 x 50€ + 0,85 x 50 € x 1,1-1 =81,14 €.

Dieser Betrag lässt sich nun verwenden, um das Online-Marketing-Budget (OMB) je Kunden zu bestimmen. Dieses lässt sich als Restgröße bestimmen, wenn vom CLTV Gemeinkosten und Gewinn abgezogen wird:

OMB = Brutto-CLTV – Gemeinkosten – Gewinn
OMB = 81,14 € - 30 € - 5 €
OMB = 46,14 €

Mit diesem, hier beispielhaft abgeleiteten Wert besteht ein Orientierungsrahmen für die Festlegung der Kosten für die Erstakquise als auch die anschließende Kundenbetreuung. Diese Budgetierungsrechnung für das Online-Marketing ist zwar nicht sehr detailliert, greift aber konstruktiv den Gedanken des Kunden-Lebenszyklus auf. Innerhalb eines Zyklus sollte der Aufwand für Customer Service und Online-Marketing also an der notwendigen Deckung der Gemeinkosten und der Finanzierung des Gewinns je Kunden ausgerichtet werden.

b. Der CLTV als Steuerungsinstrument

Die Einsätze des CLTV als Planungsinstrument hängen stark von Annahmen ab und bieten daher nur eine grobe Planungsgrundlage. Dagegen ist der CLTV als Steuerungsinstrument deutlich konkreter, denn er vergleicht Zielgrößen in Online-Marketing und E-Commerce mit tatsächlich erreichten Ergebnissen. Mittel- bis langfristig entstehen Entscheidungsgrundlagen über die Kundenwerte auch den Unternehmenswerte positiv zu beeinflussen.

So mächtig dieses Steuerungsinstrument auch ist, so herausfordernd, ist der Einsatz des CLTV als Steuerungsinstrument. Es müssen Daten aus fast allen Teilen des E-Commerce Systems zugänglich sein und die Anforderungen an die Datenvalidität erfüllen. Dabei sind sowohl das Shopsystem, das Rechnungswesen, das Customer Relationship Management (CRM) als auch WebAnalytics-Daten involviert. Ziel ist es, kundenindividuell den Betreuungsaufwand mit den tatsächlich erzielten Erträgen abzugleichen. Wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass Kunden einer Erfassung und Verknüpfung dieser Daten zugestimmt haben.

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Gelingt diese Verknüpfung, kann durch Optimierung von Online-Marketing- und E-Commerce-Prozessen eine Steigerung der Kundenwertentwicklung durchgeführt werden. Da der CLTV Akquisekosten und Erträge aus Kundenbindung ins Verhältnis setzt, ist die Richtung eindeutig vorgegeben: Die Akquisekosten müssen reduziert werden, die Erträge aus der Kundenbindung müssen entsprechend erhöht werden. Auch die Verlängerung der Laufzeit der Kundenbeziehung bei konstantem Kundenbudget gehört zur Optimierung des CLTV. Damit ergibt sich eine besondere Aufgabe für das CRM. Dieses trägt qualitative Daten über Kundenpräferenzen zusammen und stellt diese für die Optimierung von Online-Marketing und E-Commerce zur Verfügung.

Allerdings ist die individualisierte Erfassung des CLTV auf Kundenbasis häufig erschwert oder unmöglich. Der Zugang von Nutzern über verschiedene technische Plattform kann häufig nicht oder nur unscharf erfasst werden. Auch fehlt bei vielen Kunden die Bereitschaft, sich anzumelden und damit Daten Preis zu geben. Damit wird der Einsatz des CLTV als Steuerungsinstrument deutlich eingeschränkt. Ein Kompromiss ist die Segmentierung von Kunden, um Annahmen für das CLTV-Modell zu präzisieren. Dabei werden je nach Fragestellung homogene Teilgruppen aus der Zielgruppe gebildet, für die belastbarere Aussagen gemacht werden können.

3. CLTV als Kundenbindungsinstrument

Nicht nur bei Amazon und Zappos, den führenden Vertretern kundenzentrierter E-Commerce-Unternehmen hat sich Customer Centricity als zentrale Strategie für die Unternehmenswertentwicklung etabliert. Eine aktuelle Schätzung (Stand Oktober 2016) zum Wert der US-amerikanischen Amazon-Prime-Kunden geht von 143 Mrd. US $ aus. Vergleicht man diesen Wert mit der aktuellen Marktkapitalisierung von ca. 360 Mrd. US $ (Quelle: Yahoo Finance), dann wird schnell die Bedeutung des Kundenbindungsprogramms Prime für Amazon deutlich. Prime Kunden geben erwiesenermaßen mehr aus, der Kundenwert nimmt sogar mit zunehmender Lebensdauer zu.

Die Strategie der Customer Centricity ist eng mit dem Customer Lifetime Value als Steuerungsinstrument verknüpft.

Customer Centricity bedeutet keineswegs, wie gelegentlich angenommen, eine besonders intensive Form der Kundenorientierung. Customer Centricity meint vor allem eine Fokussierung auf bestimmte, wertvolle Kundensegmente. Und diese Kundensegmente werden so gut betreut, dass die Kundenbindungsdauer möglichst lange und die Kundenwerte möglichst hoch sind. Ein umfangreiches Medienangebot wie Prime Video und Prime Music verlängert die Nutzungsdauer der Plattform und erhöht vor allem die Zahl der angemeldeten Kunden. Damit ist es für Amazon deutlich leichter, den CLTV seiner Prime Kunden zu bestimmen und zu optimieren.

Abbildung 1: Mit Angeboten wie Prime Music verlängert Amazon die Nutzungsdauer der Plattform.

Fazit

Sicher hat Amazon eine Marktstellung, in der Skaleneffekte im Online-Marketing und Logistik Kundenakquise und Kundenbindung deutlich erleichtern. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass noch bis vor wenigen Jahren Amazons Erfolg keineswegs gesichert schien. Daher muss die Kundenzentrierung und die CLTV-Orientierung als bemerkens- und nachahmenswertes Erfolgsrezept gesehen werden.

Nun mag das Vorbild Amazon so manchen Mittelständler zunächst abschrecken. Amazon als Marktführer im E-Commerce erreicht Exzellenz und Innovationen auf so vielen Feldern, dass es für kleinere Unternehmen kaum ohne weiteres möglich sein dürfte, Amazon als Ganzes zu imitieren. Jedoch sollte das keine Entschuldigung sein, nicht auf Customer Centricity und Customer Lifetime Value zu setzen. Der einfachste Zugang, der auch ohne komplexe Tracking-Methoden auskommt, ist es, über den Newsletter erste Kundensegmente aufzubauen, diese optimal zu betreuen und den Customer Lifetime Value zu bestimmen. Da die Kunden identifiziert werden können und auch die Akquisekosten für den Newsletter bestimmbar sind, sind die Newsletter-Segmente erste Anwendungsfälle für die CLTV Steuerung. Es lassen sich ihnen via Analytics eindeutige Leistungswerte im Online-Marketing sowie über den Onlineshop im E-Commerce zuordnen, so dass die Steuerung über den CLTV funktioniert. Probiert es aus, es lohnt sich.

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Veröffentlicht am Jan 10, 2017 von Dominik Große Holtforth