Steve Jobs ist immer für ein Zitat gut – von „Stay hungry, stay foolish“ bis zu „think different“ ist das Spektrum seiner Lebens- und Geschäftsweisheiten sehr groß und nicht minder inspirierend.
Wenn es um die Bedeutung von Voice Search für Onlineshops geht, ist eines der vielleicht weniger bekannten Zitate genau die richtige Botschaft. „When behind leapfrog“ lautet eine Empfehlung des legendären Tech-Gründers aus Palo Alto. Liegt man zurück, soll man also nach vorne springen, so die sinngemäße Entwicklung. Und genau diese Empfehlung zeigt die Chancen, die sich aktuell mit Voice Search auch für viele Onlineshops ergeben können.
Eigentlich ist Voice Search ein alter Hut, denn bereits seit Beginn der 2000er Jahre sind Voice Search-Funktionen online verfügbar. Nachdem Voice Search lange eine Randerscheinung des Online Kanals war, nimmt die sprachgesteuerte Suche langsam an Bedeutung zu: Bereits 2014 wies Google aus, dass 41% der Erwachsenen und 55 % der Teenager Voice Search auf ihren Smartphones auf einer täglichen Basis nutzen – und zwar mehr als einmal täglich. Alle großen Plattformbetreiber –Google, Amazon, Microsoft und Apple– investieren entsprechend in die Weiterentwicklung ihrer Voice Search-Technologien. Dabei geht es den GAFAs und anderen Plattformen vor allem um die (künstliche) Intelligenz und damit die Qualität der Interpretation der via Sprache gestellten Suchanfragen.
Trotz dieser eindeutigen Relevanz der Voice Search-Funktion für die allgemeine Online-Nutzung ist sie im E-Commerce hierzulande offensichtlich (noch) kein großes Thema. Laut einer Erhebung von Statista aus 2016 sehen nur 14% der befragten Bundesbürger Produktbestellungen als aktuelles und zukünftiges Anwendungsbeispiel für Voice Search. Dagegen dominieren in der Vorstellung der Befragten
das Verfassen von Nachrichten,
die Informationssuche sowie die
Bedienung von Navigationsgeräten
als nützliche Dienste von Sprachassistenten und Voice Search-Funktionen.
Die Nutzung von Voice Search beim Onlineshopping sollte sich bald ändern, geht es zumindest nach Amazons Vorstellungen. Mit Amazons Echo und der Sprachassistentin Alexa soll sich der Nutzungsfokus zwangsläufig stärker in Richtung E-Commerce verlängern. Auch erste Zahlen sprechen für sich. Musste sich Alexa 2016 in Deutschland noch mit einem kleinen Marktanteil von 800.000 Nutzern oder 2,3 % (Quelle: Statista 2017) im vom Google Now dominierten Feld der Sprachassistenten zufrieden geben, dürften steigende Absatzzahlen von Amazon Echo diesen Anteil bald erhöhen. So steigen die Verkaufszahlen nach aktuellen Schätzungen in den zweistelligen Millionenbereich. Nicht zuletzt tragen lustige Alexa-Geschichten wie „Papagei bestellt bei Amazon“ zur Verbreitung der „Shoppingbüchse“ aus Seattle bei. Immerhin ist sie für den Zugriff auf ein mehrere 100 Mio. Artikel umfassendes Warenangebot programmiert.
Kein Zweifel, dass Voice Search im Online Handel ein Kandidat für „The Next Big Thing in E-Commerce“ ist. Die entscheidende Frage ist aber, wann die Nutzerakzeptanz so hoch ist, dass von einem relevanten Kanal gesprochen werden kann. Ein Blick auf die 2017er Version des bekannten Hype Cycle von Gartner zeigt, dass virtuelle Assistenten oder „Conversational User Interfaces“ in den nächsten 5 bis 10 Jahren wettbewerbsrelevant werden. Auch Mary Meker zeigt in ihrem nicht minder bekannten Trendreport diese Richtung auf. Danach werden im Jahr 2020 200 Mrd. Suchanfragen und damit die Hälfte Voice und Image Search sein.
Abbildung 1: Steigende Bedeutung von Voice Search im Internet
Nimmt man Mary Meker, Steve Jobs und Gartner ernst, sollte man sich also bereits jetzt mit den Konsequenzen der Sprachsuche nach Produkten auseinandersetzen. Das gilt vor allem für solche Unternehmen und Marken, die sich an besonders innovative und junge Zielgruppen wenden. Diese werden als Pioniere der Digitalisierung die ersten Sein, die mehr als nur allgemeine Suchfragen ihren virtuellen Assistenten anvertrauen.
Auch wenn zunehmende Relevanz von Voice Search ohne Zweifel festgestellt werden kann, gibt es doch auch retardierende Momente. Wie schon für den Mobile Commerce feststellbar, hat ein neuer Kanal nicht zwangsläufig die gleiche Effektivität für E-commerce-Anwendungen wie sein Vorgänger. So sind sowohl Conversion Rates und Warenkörbe im Mobile Commerce geringer als im Desktop Commerce (Quelle: smartinsights.com). Sicher kann sich das auch noch ändern, aber in jedem Fall stehen diese Performance-Einschränkung der Shopping-Plattform Mobile für eine offensichtlich unvermeidliche Übergangsphase. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass auch Voice Search nicht ohne Weiteres an die Effektivität des Desktop-Shoppings heranreicht. Dieses hat bei zunehmender Qualität der AI-Grundlagen von Voice Search immer weniger mit der Spracheingabe, aber sicher noch lange mit der Sprachausgabe bei Voice Search-Anwendungen zu tun.
Robert C. Mendez weist in der t3n auf den dafür verantwortlichen ganz einfachen sensorischen Grund hin. Während unser Auge mehrere Informationen gleichzeitig verarbeiten kann, ist die Informationsverarbeitung des Ohrs linear. Wir können eben nur ein Wort nach dem anderen hören. Das bedeutet auf jeden Fall Einschränkungen, wenn wir beim Online Shopping stöbern, vergleichen und Inspirationen suchen. Das hat laut Mendez auch Jeff Bezos bereits gesehen und Bildschirmen eine auch weiterhin wichtige Rolle beim Onlineshopping zugeschrieben. Shopping via Voice Search dürfte aber vor allem dort eine Rolle spielen, wo wie beim Dash-Button keine Auswahl mehr stattfinden muss, da ein Routinekauf erfolgt.
Weitere Einschränkungen für Voice Search ergeben sich aus dem Kontext der Nutzung. Im öffentlichen Raum, im Großraumbüro oder auch in Gesellschaft zu Hause dürfte öffentliches Voice Search Shopping nicht immer große Freude bereiten. Oder würdet ihr Alexa die Geschenke für eure Freundin diktieren, während diese im selben Raum ist?
Es wäre aber falsch, damit eine künftige Rolle von Voice Search im E-Commerce zu verneinen. Denn auch im Zusammenhang mit der Bildschirmnutzung, bei der kontextbezogenen oder gezielten Produkt- und Anbietersuche und nicht zuletzt bei der Informationssuche zu Produkten wird Voice Search auf jeden Fall eine Rolle spielen. Selbst wenn Landingpages, Kategorie- und Checkout-Seiten auch weiterhin die entscheidenden letzten Schritte in der Customer Journey sind, werden Vorfeldsuchen in den oberen Rängen des Sales Funnel zunehmend auch via Voice Search erschlossen.
In der Evolution der Mensch-Computer-Schnittstelle ist Voice Search eindeutig die nächste Evolutionsstufe. Sie wird eingebettet sein in die allgemeine Verbreitung von Internet-of-Things (IoT)-Anwendungen, so dass Voice keineswegs nur auf das Smartphone beschränkt bleibt. Warum nicht gleich mit dem Kühlschrank sprechen, wenn dieser leer ist und die Butter- und Milchbestellung keine große Recherche erfordert. Je besser die Fähigkeit der Assistenten wird, menschliche Fragen und Aussagen zu interpretieren, umso natürlicher wird die Unterhaltung, werden Frage und Antwort sein. Damit setzt sich für die Suche nach Produkten über das Internet ein Trend zu immer längeren natürlicheren Keywordphrasen fort.
Mit der Verbreitung von Voice Search wird sich entsprechend auch ein Trend fortsetzen, der sich im Siegeszug der mobilen Internetnutzung beobachten liess. Mobile Nutzung ließ die Anzahl der unterschiedlichen Nutzungssituationen (in der Bahn, im Wald, beim Sport, etc. …) ansteigen und führte damit auch zu einer Differenzierung im Suchverhalten und bei der Formulierung von Suchanfragen. Aus kurzen, prägnanten allgemein relevanten Keywords wurden lange und spezifische Suchphrasen.
Neben diesem langsamen „Tod“ des Keywords zeigt Jayson de Mers noch weitere wahrscheinliche Veränderungen auf. Das Suchverhalten wird unvorhersehbarer, wenn Suchanfragen immer individueller werden. Shopbetreiber müssen sich mit der neuen Art der Suche beschäftigen und passende Alleinstellungsmerkmale für Voice Search entwickeln. Dabei spielt auch der lokale Kontext eine größere Rolle, denn Voice Search dürfte die Zahl der spontanen Suchanfragen mit lokalem Bezug steigen lassen.
Insgesamt muss der Content auf der Seite dialogorientierter werden, um eine gute Grundlage für Voice Search zu bieten. Eine hervorragende Vorbereitung auf Voice Search dürfte daher sein, Kundenfragen oder ein Kundenforum auf einer Seite zu installieren. Ideal sind produktbezogene Fragen auf einer Landingpage, die auch dort beantwortet werden sollten.
Weiter sollten Rich Answers in der Suchmaschine anhand von strukturierten Daten gefördert werden. Ist der eigene Shop immer wieder Teil von Rich Snippets oder Answers fördert dieses die Sichtbarkeit des Shops für Voice Search deutlich. Insgesamt dürfte die Spezialisierung und Markenbildung sowie –kommunikation immer wichtiger werden. Das sollte als gute Nachricht verstanden werden, denn es kann erwartet werden, dass Voice Search Nutzer markentreu sind.
Auch wenn es um Standard- und Routinetransaktionen wie Geldüberweisungen oder Hotelbuchungen geht, sollte man mit Voice Search rechnen. Eine noch „Große Unbekannte“ sind Einkaufs-Bots, die Nutzer durch Einkaufsprozesse führen können. Hier dürften vor allem Anwendungen und Lösungen aus Regionen wie China oder afrikanische Länder maßgeblich sein, in denen die mobile Nutzung einen 100%-Anteil an der gesamten Onlinenutzung schon sehr nahe kommt.
Wenn man Steve Jobs folgen und mit der Hilfe der neuen Technologie an die Spitze seiner Branche springen will, gibt es also viel zu tun. Wichtig ist vor allem, Nutzerverhalten und User Experience richtig einzuschätzen, um für Voice Search die passenden Use Cases zu entwickeln. Euromonitor macht darüber hinaus Vorschläge, wie sich Shopbetreiber strategisch auf „The Internet of Voice“ vorbereiten.
Die Entwicklung von eigenen Voice Search Anwendungen ist aufwändig und vermutlich nur für größere Unternehmen ohne Weiteres finanzierbar. Kleinere Unternehmen sollten bei der Entwicklung geeigneter Lösungen kooperieren. Vorteile haben solche Unternehmen, die über native Apps oder zumindest einen nennenswerten Mobile Anteil an der Reichweite und Umsätze bereits einen Desktop-unabhängigen Fokus haben. Schließlich sollte auch nicht vergessen werden, den Kundenservice mit Voice Search zu verknüpfen. Ein erster und einfacher Anwendungsfall dürften die beliebten FAQs sein, die in keinem Onlineshop fehlen sollte.
Und wer erste Eindrücke von Shopping Bots kennenlernen möchte, dem sei zum Schluss ein hilfreicher Erfahrungsbericht auf Techcrunch empfohlen. Kaum überraschende Botschaft dabei: Je häufiger man den Bot benutzt, umso besser wird er.
Veröffentlicht am Oct 5, 2017 von Dominik Große Holtforth