Was passiert, wenn wir am Straßenrand spazieren gehen, uns angeregt mit einem Freund unterhalten, und auf der Straße im Hintergrund ein Auto vorbei fährt?
Bemerken wir das Auto überhaupt? Können wir uns später daran erinnern? Wahrscheinlich nicht.
In unserem Gehirn passiert aber dennoch etwas Bemerkenswertes: Selbst wenn wir mit anderen Dingen beschäftigt sind, uns bewusst einer ganz anderen Aufgabe widmen, stimulieren ablenkende Produkte jene Hirnareale, die an Kaufentscheidungen beteiligt sind. Selbst wenn beispielsweise Autos als Störfaktoren in einem Aufmerksamkeitsexperiment eingesetzt werden, kann man die während dieser Aufgabe aufgenommene Hirnaktivität verwenden um vorherzusagen, ob der entsprechende Proband das Auto grundsätzlich kaufen würde oder nicht.
Anders ausgedrückt: Unser Gehirn bereitet Kaufentscheidungen vor – jederzeit und ohne dass wir uns dessen bewusst wären.
Diese Erkenntnis verdanken wir einer Forschungskooperation, an der Wissenschaftler aus Berlin, Leipzig und Magdeburg beteiligt gewesen sind. Die entsprechende Studie wurde im Jahr 2010 von A. Tusche, S. Bode und J.-D. Haynes im prestigeträchtigen Journal of Neuroscience veröffentlicht und gilt bis heute als bahnbrechender und viel zitierter Beweis dafür, dass Kaufentscheidungen zu einem großen Teil ohne unser bewusstes Zutun stattfinden.
Tusche und Kollegen waren natürlich nicht die ersten, die mit neurowissenschaftlichen Methoden zu verstehen versuchten, wie das menschliche Hirn auf Marketingreize reagiert. Zahlreiche Studien zur Verarbeitung von Marken hatten bereits hinreichend belegt, dass erfolgreiche Marken vor allem jene Bereiche des Gehirns stimulieren, die aus der Emotionsverarbeitung bekannt sind (z.B. McClure und Kollegen, 2004) und dass persönliche Lieblingsmarken ein gänzlich anderes neuronales Muster hervorrufen, als die Marken zwei, drei und vier auf der persönlichen Beliebtheitsskala (Deppe und Kollegen, 2005).
Solche Studien gaben wertvolle Hinweise darauf, dass Markenführung vor allem mit Emotionsmanagement zu tun hat und Marken einen emotionalen Mehrwert liefern müssen, wenn sie die Konkurrenz im Sinne eines „the Winner takes it all“ Effekts ausstechen wollen. Außerdem erklärten Sie das sogenannte Pepsi-Paradox (Koenigs und Tranel, 2008): Es kommt nicht auf den objektiv besseren Geschmack oder den eventuell kleineren Preis an, es geht einzig und allein um die emotionale Bewertung eines Produkts, die entscheidet, ob wir es kaufen oder nicht.
Und selbst wenn emotionale Markenführung und subjektiv höhere Qualität zusammenkommen: Sobald es einen Platzhirsch (Coca Cola) gibt, ist an diesem (beinahe) kein Vorbeikommen mehr.
Kaufentscheidungen beruhen nun einmal fast ausschließlich auf Aktivität in „emotionalen“ Hirnarealen, wenn man die Ergebnisse von Knutson und Kollegen (2007) verallgemeinert. Das bedeutet, dass nicht nur Marken, sondern auch Werbung und sämtliche sonstigen Marketingmaßnahmen gut daran tun, den Konsumenten emotional zu erreichen.
Natürlich ergibt sich dann fast zwangsläufig die Frage, wie eine solche emotionale Ansprache aussehen sollte…
Und auch hier gab es, ebenfalls im Jahr 2010, einen wichtigen Durchbruch: Den Einsatz neurowissenschaftlicher Methoden in der Werbewirksamkeitsforschung.
Eine polnische Arbeitsgruppe um Rafal Ohme konnte 2010 in einer Reihe unterschiedlicher Experimente nachweisen, dass es in bei TV Werbespots nicht selten auf sehr kurze, kaum bewusst wahrnehmbare Sequenzen ankommt, wenn es darum geht beim Betrachter eine Kaufintention auszulösen. Erinnert ihr euch beispielsweise an den ersten Werbespot für den SONY Bravia Flachbildfernseher?
Abbildung 1: Erster Werbespot für den SONY Bravia Flachbildfernseher
oder
Der Werbespot wurde vielfach mit Preisen ausgezeichnet und gilt bis heute als sehr gelungenes Beispiel guter Werbung. Er ist kreativ, unterhaltsam und SONY konnte sich über den Erfolg des Bravia nicht beschweren.
Aus Neuromarketing Sicht interessant an diesem Werbespot ist jedoch, dass es eine kurze, nicht einmal 2 Sekunden lange Szene gibt, deren Entfernung dafür sorgt, dass die Wirkung des Spots messbar nachlässt.
Kannst Du erraten welche?
Unter folgendem Link findest Du die Auflösung:
http://discover-neuro.de/1-8sec-that-matter/sony-bravia-frog/
Es konnte mittlerweile nachgewiesen werden, dass Szenen wie diese TV Werbung emotionalisieren und dadurch das nachfolgende Kaufverhalten maßgeblich beeinflussen. In einem kontrollieren Experiment griffen Kunden 14% häufiger zum beworbenen Produkt, wenn ein solcher emotionaler Prime im Werbespot enthalten war.
14% mehr Umsatz durch eine 1,8 Sekunden lange Sequenz, die bei einer direkten Befragung meist nicht mehr erinnert wird…
Kein Wunder, dass in der Folge zahlreiche Unternehmen gegründet wurden, die mit den Methoden der Neurowissenschaft, allen voran EEG und fMRT, Werbung dahingehend überprüfen, ob sie solche wirksamen Szenen enthält. Vieles von dem, was wir heute im Fernsehen gezeigt bekommen, wurde vorab an Zuschauern mit Neuromarketing überprüft – vor allem dann, wenn es sich um namhafte Firmen handelt.
Egal ob Apple, Coca Cola, VW oder große Kinofilme wie die James Bond Reihe: Sie alle wurden mit Neuromarketing in Verbindung gebracht.
Bedeutet das im Umkehrschluss, dass wir Konsumenten mittlerweile mehr Geld ausgeben als vor dem Jahr 2010? Statistisch schon.
Ist diese Veränderung auf die Einführung von Neuromarketing zurückzuführen? Eher nicht.
Eine finnische Neuromarketing Agentur untersuchte vor ein paar Jahren, wie viel „gute“ (im Sinne von neurowissenschaftlich nachweisbar wirksame) TV Werbung ausgestrahlt wird – mit einem erschreckenden Ergebnis. Nur 38% der vielen hundert untersuchten Werbesekunden hatten einen nachweisbaren Effekt auf das Konsumentengehirn.
Und schlimmer noch: Von diesen 38% wirkten mehr als die Hälfte, nämlich insgesamt 24%, negativ. Das bedeutet, dass nur 14% aller untersuchten Werbesekunden einen verkaufsförderlichen Einfluss hatten.
So wie es aussieht, brauchen wir uns also auch weiterhin keine Gedanken zu machen: Die meiste Werbung ist, trotz Neuromarketing, einfach schlecht.
Veröffentlicht am 02.11.2015 von Benny Briesemeister.
Who writes here
Benny B. Briesemeister hat als neurokognitiver Psychologe an der FU Berlin promoviert. Seit 2011 betätigt er sich an der Schnittstelle aus neurowissenschaftlicher Forschung und Marketingpraxis. Für seine Arbeiten wurde er von der NMSBA mit dem Titel „Neurotalent of the Year 2015“ ausgezeichnet.
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